Viel Arbeit bis zur Wärmewende - was tut sich in Rheinland-Pfalz?

Holzhackschnitzel, Wärmepumpe, Photovoltaik, kalte Nahwärme?

Viel Arbeit bis zur Wärmewende - was tut sich in Rheinland-Pfalz?

Neuerkirch (dpa/lrs) - Die Wärme entsteht genau in der Mitte. Zwischen den Hunsrück-Örtchen Külz und Neuerkirch steht ein eher unscheinbares Gebäude mit Holzfassade, nur ein Schornstein deutet darauf hin, was drinnen passiert. Es ist das Heizkraftwerk für das Nahwärmenetz der beiden Gemeinden in der Verbandsgemeinde Simmern-Rheinböllen im Rhein-Hunsrück-Kreis. Sie haben schon früh auf erneuerbare Energien gesetzt, als Begriffe wie Wärmewende, Gebäudeenergiegesetz oder Kommunale Wärmeplanung noch weitgehend unbekannt waren.

Mittlerweile diskutiert gefühlt ganz Deutschland darüber, vor allem Kommunen stehen vor Herausforderungen, müssen nach derzeitiger Planung bei mehr als 100 000 Einwohnern bis Mitte 2026, sonst bis Mitte 2028 Wärmepläne erarbeiten. Klar ist: Eine pauschale Lösung gibt es nicht. «Eine Wärmewende ist immer ortsspezfisch», sagt der Leiter des Kompetenzzentrums Nahwärme bei der Energieagentur Rheinland-Pfalz, Paul Ngahan. «Was in Berlin geht, geht eben nicht eins zu eins in Bad Kreuznach.»

Klar ist auch: Tempo zahlt sich aus. Im Rahmen der Kommunalrichtlinie wird die Erstellung eines Kommunalen Wärmeplanes mit bis zu 90 Prozent, bei finanzschwachen Kommunen gar mit 100 Prozent vom Bund gefördert, wenn der Antrag dafür bis Ende dieses Jahres gestellt wird. Entsprechend sieht Ngahan einen großen Informationsbedarf. Mit den kommunalen Spitzenverbänden im Land und dem Verband kommunaler Unternehmen habe er Anfang 2023 Infoveranstaltungen angeboten, an denen 180 Vertreter von Städten und Gemeinden teilgenommen hätten. Die Energieagentur hat Ngahan zufolge bei 81 Kommunen im Land angefragt, wie weit sie sind. Es habe bisher 45 Rückmeldungen gegeben, 20 hätten einen Antrag auf Förderung gestellt, bei 22 ist er in Vorbereitung. Bewilligt wurde eine Förderung erst in drei Fällen.

Doch was verbirgt sich hinter kommunaler Wärmeplanung? Für Ngahan ist sie Koordinierungsinstrument und Fahrplan zur Klimaneutralität. Die soll in Rheinland-Pfalz bis spätestens 2040 - und damit mindestens fünf Jahre früher als es der Bund anstrebt - erreicht werden. Vor Ort müsse geschaut werden, welche Energieträger vorhanden seien, sagt Ngahan. Es müsse geschaut werden, wieviel Energie benötigt werde, welche großen Verbraucher es gebe und wie sich die Sektoren Elektrizität, Wärme, Verkehr und Industrie koppeln ließen. All das müsse in ein Szenario einfließen. «Das ist wie ein Puzzle.»

Im Fall des seit 2016 existierenden Nahwärmeverbundes Neuerkirch-Külz sind Holzhackschnitzel und Solarthermie die Energieträger der Wahl. Zur Anlage gehören zwei Kessel zur Verbrennung des Holzes und eine Fläche an Solarkollektoren von etwa 1400 Quadratmetern. Über das Jahr gesehen sorgen die Holzhackschnitzel für 80 Prozent der Wärme, die Solarthermie für 20 Prozent, wie Marc Meurer erzählt. Er arbeitet für die Verbandsgemeindewerke und ist für solche Nahwärmeanlagen zuständig. Ob solche Wärme am Ende günstiger ist als die aus fossilen Energieträgern, sei von den Öl- und Gaspreisen abhängig. Es seien aber konstantere Preise ohne die ganz großen Schwankungen.

Gesteuert wird die Anlage für Neuerkirch und Külz automatisch. Wenn an einem sonnigen Sommertag die Solarthermie ausreicht, laufen die Holzkessel gar nicht. Falls es bedeckter ist, greift sich die Anlage Holzhackschnitzel aus dem Lager, damit zumindest einer dieser Öfen etwas Wärme zusteuern kann. Für den Fall eines Defekts oder einen längeren Zeitraum mit sehr niedrigen Temperaturen steht noch ein Ölkessel bereit. Der sei aber extrem selten in Betrieb, sagt Meurer.

Leitungen mit einer Gesamtlänge von rund 6000 Metern bringen die Wärme zu den einzelnen Haushalten in Neuerkirch und Külz. Der Anschluss sei freiwillig, erklärt Meurer. Aus zunächst 137 seien inzwischen etwa 165 Anschlüsse geworden, das seien rund 80 Prozent der Haushalte. Besonders im vergangenen Jahr mit stark gestiegenen Ölpreisen und im Zuge der Diskussion über das Gebäudeenergiegesetz, nach dem künftig nur noch Heizungen neu eingebaut werden dürfen, die auf die Dauer zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden können, sei die Zahl der Anschlüsse gestiegen.

Der Verbund in Neuerkirch-Külz habe schon Besucher aus aller Welt angezogen, erzählt VG-Bürgermeister Michael Boos (SPD). Auch anderswo in der Verbandsgemeinde gibt es eine Nahwärmeversorgung. In Fronhofen wird nur mit Holzhackschnitzeln gearbeitet, in Ellern auf einen Mix aus Holzhackschnitzeln und Solarthermie gesetzt. In der Innenstadt von Simmern bekommen rund 30 überwiegend öffentliche und kirchliche Gebäude ihre Wärme überwiegend über einen Holzhackschnitzel-Kessel. Weiterer Baustein dort ist etwa ein Erdgas-Blockheizkraftwerk, das gleichzeitig Wärme und Strom produziert, auch für ein Schwimmbad.

Die Ortsgemeinden hätten die Aufgabe der Energieversorgung an die Verbandsgemeinde übertragen, sagt Boos. Die Abwicklung, etwa Finanzierung und Abrechnung, übernehmen die Verbandsgemeindewerke. Der Impuls, etwas zu tun, sei aus den Gemeinden gekommen. Das hat in der Region Tradition, der Rhein-Hunsrück-Kreis ist bereits seit 2018 bilanziell klimaneutral, er wurde von der Agentur für Erneuerbare Energien schon zur «Energie-Kommune des Jahrzehnts» gekürt.

Simmern-Rheinböllen sei die Verbandsgemeinde mit den meisten Windenergieanlagen, sagt Boos. An die Windkraft hätten sich die Menschen längst gewöhnt, sie habe auch Geld gebracht. Für eine Energiewende brauche es zudem viele kleine Schritte, um den Verbrauch zu verringern, sagt der Bürgermeister. Dazu gehörten Förderprogramme der VG zum Beispiel für sparsame Waschmaschinen, Kühlschränke und Trockner sowie für wassersparende Duschköpfe oder die Verwendung von LED-Leuchten. «Ein bisschen Widerstand» sieht Boos bei Photovoltaik (PV) auf Freiflächen. Boos favorisiert PV auf Dächern.

Nahwärmenetze wie in Neuerkirch-Külz sind nicht überall das Beste. In einem Neubaugebiet etwa mit Niedrigenergiehäusern brauche es so etwas nicht, sagt Ngahan von der Energieagentur. Hier sollte mit Wärmepumpen gearbeitet werden. Solche Wärmepumpen schafften es bis zu Temperaturen von etwa minus 13 Grad, mehr Wärme zu erzeugen als Strom reingesteckt wurde, sagt Ngahan. Ein Nahwärmenetz werde schnell teurer, wenn Häuser weit auseinander liegen. Dann brauche es lange, mit dickem Schaum isolierte Leitungen, damit nicht zu viel Wärme verloren gehe. In solchen Fällen könne kalte Nahwärme besser sein. Dafür brauche es eine geothermische Bohrung bis in rund 150 Meter Tiefe. Wasser werde mit acht bis 15 Grad aus dem Boden geholt, zu den Anschlüssen transportiert und dort mit Wärmepumpen weiter erwärmt, es genügen günstigere Leitungen ohne Isolierung.

Für Ngahan gibt es eine ganze Reihe positiver Beispiele für Wärmekonzepte. In Kappel im Rhein-Hunsrück-Kreis würden 110 Häuser zu 80 Prozent mit Abwärme aus einer Biogasanlage versorgt, 20 Prozent der Wärme gehe auf Holzhackschnitzel zurück. Die Ortsgemeinden Rech und Altenburg im Ahrtal setzen künftig auf kalte Nahwärme, auch in einem Quartier in Mainz soll es kalte Nahwärme werden, hier wird gerade an einer Machbarkeitsstudie gearbeitet.

Trotz aller Ideen und Ansätze bleibt viel zu tun. Laut Energieagentur Rheinland-Pfalz liegt der Anteil der erneuerbaren Energien bei der Bereitstellung von Wärme bislang nur bei rund elf Prozent, das Gros sei noch fossil. Entsprechend sei die «Dekarbonisierung des Wärmesektors» ein anspruchsvolles Ziel.

Foto: Thomas Frey/dpa

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Datum: 01.08.2023
Rubrik: Gesellschaft
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