Gedenken an der Ahr - «Menschen einbeziehen»

Gedenkort für die 135 Toten

Gedenken an der Ahr - «Menschen einbeziehen»

Mainz (dpa/lrs) - Ein Kreuz, eine Kerze und eine Bank: An die Flutkatastrophe mit 135 Toten im Ahrtal wird an einer Reihe von Orten gedacht. Manche Bewohner der im Sommer 2021 schwer verwüsteten Region wünschen sich eine zentrale Gedenkstätte, andere würden lieber gar nicht mehr an die verheerende Nacht vom 14./15. Juli vor rund zweieinhalb Jahren erinnert werden. Einige Initiativen sind bereits im Gange, manche Idee wurde verworfen. «Gedenken ist nach dem Ereignis das emotionalste Thema für die Menschen», sagt der Opferbeauftragte der Landesregierung, Detlef Placzek. «Um dieses Thema wird auch viel gerungen.» Das sei auch in Ramstein, in Kusel und Trier so gewesen.  

«In der ersten Phase haben die Betroffenen noch nicht die emotionale Kraft, zwischen einem persönlichen und dem öffentlichen Gedenken zu unterscheiden», sagt Placzek. Mit Blumen oder Kreuzen an den Stellen, an denen Verwandte ums Leben kamen, wollten sie sich daran erinnern. «Das ist auch richtig und gut so. Die Menschen sollen sich erinnern, aber Gedenken soll immer auch Hoffnung für die Zukunft geben.» 

«Wir möchten an das Ereignis erinnern», sagt Placzek. «Aber man muss die Kraft aufwenden, auch wenn das sehr schwierig ist, zunächst nach so einem Ereignis etwas Zeit ins Land gehen zu lassen, weil die Emotionen so hoch sind, dass vielleicht auch Entscheidungen getroffen werden, die im Nachhinein anders getroffen würden.» Und: «Es ist ganz wichtig, dass man so viel Menschen wie möglich einbezieht, damit man eine Form findet, mit der möglichst viele zufrieden sind», sagt der Opferbeauftragte. «Die Menschen sollten möglichst direkt - nicht über politische Gremien - an dem Prozess beteiligt werden.»

Unter dem Titel «MemoriAhr» sollen noch in diesem Jahr rund 25 Zeitzeugenvideos von der Flutnacht auf dem digitalen Landesportal zum kulturellen Erbe veröffentlicht werden. Die Gespräche seien zwischen einer halben Stunde und eineinhalb Stunden lang und befassten sich auch mit der Bewältigung der schrecklichen Ereignisse, heißt es im Kulturministerium von Katharina Binz (Grüne), das das Projekt finanziell unterstützt. 

Eine an dem Projekt beteiligte Bürgerinitiative von rund 30 Ahrtal-Bewohnern macht sich zugleich für einen «Weg der Erinnerung für die Zukunft» stark, der vom nordrhein-westfälischen Blankenheim bis nach Sinzig über 30 Stationen führen soll. «Jede Gemeinde hat die Flut anders erlebt», heißt es in der Projektbeschreibung. Geplant ist eine Visualisierung der Ereignisse und der Zeit danach entlang der Ahr in Form quadratischer Stelen mit Informationstafeln sowie QR-Codes zur Vertiefung, auch mit den Zeitzeugeninterviews. 

Nachgedacht wird an der Ahr auch über ein Flutmuseum. Dies könne sowohl eine eigene Gedenkstätte werden als auch ein Bestandteil des angedachten International Crisis Center Ahr (ICCA), sagt David Bongart vom Ahrtal-Tourismus. Eine Machbarkeitsstudie gibt es bereits, aber noch keine Entscheidung. Die Überlegungen seien zudem Teil der noch laufenden Studie für das ICCA, einer Forschungsstätte mit Laboren, Vortrags- und Tagungsräumen. Das Besucherzentrum plant darüber hinaus multimediale und interaktive Wechselausstellungen zum Thema Krise.

Verworfen wurde die Idee des Bonner Künstlers Babak Saed, der als Symbol des Gedenkens an die Flut und die erlebte Hilfsbereitschaft einen 40 Meter langen und 3 Meter hohen Schriftzug «Ich erinnere mich» in den Weinbergen bei Marienthal und Dernau installieren wollte. Das vom Bonner Kulturamt unterstützte Projekt wurde von der Ortsgemeinde zwar einstimmig angenommen, die Kreisverwaltung lehnte es aber ab, wie Placzek berichtet. Ein Grund: Die Bewohner könnten ständig an das Erlebte erinnert und dadurch belastet werden.

«Die Flugkatastrophe von Ramstein ist weit über 30 Jahre her und da treffen sich zum Jahrestag immer noch Betroffene, um an das Ereignis zu erinnern. Dieses gemeinsame Erinnern ist auch für viele Menschen noch mal eine Stütze», berichtet Placzek. «Je mehr Zeit ins Land zieht, desto mehr Abstand bekommt man, aber es ist immer noch schön, dass man mit seinen Gedanken nicht allein ist.» Dies sei auch in Trier nach der Amokfahrt im Dezember 2020 mit sechs Toten zu sehen.

In Trier erinnern in der Fußgängerzone eingelassene Gedenkplaketten an die Opfer. Sie liegen an den Stellen im Boden, an denen Menschen von dem Amokfahrer getötet wurden. Jede Plakette wurde in Abstimmung mit den Familien gestaltet. Sie werden in der Dunkelheit über Bodenfluter beleuchtet. Bei einer zudem geplanten zentralen Gedenkstätte sollen noch in diesem Frühjahr nahe der Porta Nigra sechs große Stelen errichtet werden. 

In Ramstein erinnert unweit der US-Airbase ein Gedenkstein mit den Namen der 70 Toten an den Absturz eines brennenden Flugzeugs in die Zuschauer 1988. «Hier in Ramstein war das Thema Gedenkstätte ein Politikum», erinnert sich Bürgermeister Ralf Hechler (CDU). «Nach dem Unglück ging es in der Öffentlichkeit lange um Schuldzuweisungen. In dieser Zeit wollten Betroffene in Ramstein eine Gedenkstätte errichten - die Gemeinde Ramstein-Miesenbach lehnte dies innerhalb des Ortes vehement ab.» Die damalige Leitung habe eine Form des «Katastrophentourismus» befürchtet und jährliche politische Kundgebungen, sagt Hechler. Später seien auf der Base und eben in der Nähe Gedenksteine errichtet worden. 

Bei Kusel in der Westpfalz erinnert auf einem Parkplatz eine Trauerstätte mit Engelsfiguren, Blumen und Grablichtern an die beiden jungen Polizisten, die vor zwei Jahren während einer nächtlichen Kontrolle von einem Wilderer erschossen worden waren. Am Tatort selbst steht ein Holzkreuz. Es sei wichtig, an einem öffentlichen Ort im Schmerz vereint zusammenkommen zu können, sagen Hinterbliebene. Die offizielle Gedenkstätte befindet sich an der Hochschule der Polizei in Hahn.

«Auf die Frage, was das Richtige ist, können Sie eigentlich keine Antwort geben», sagt Placzek. «Die Vorstellungen sind sehr unterschiedlich.» Je mehr Zeit vergehe, desto mehr könne zwischen der persönlichen Betroffenheit - die auch nicht genommen werden solle - und dem öffentlichen Gedenken unterschieden werden. «Das, was sich im öffentlichen Raum abspielt, sollte möglichst von der Erinnerung an einzelne Menschen losgelöst sein», sagte Placzek. «Die Öffentlichkeit, die von so großen Ereignissen sehr stark mitbetroffen ist, hat auch einen Anspruch darauf, dass man öffentlich auch in Zukunft daran denkt, und ein Mahnmal installiert - was heißt das denn für die Zukunft?»

Foto: Boris Roessler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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Datum: 14.02.2024
Rubrik: Gesellschaft
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