Gesundheitsminister Hoch: Medizinische Notfallversorgung im Rhein-Lahn-Kreis ist gesichert

In 8,6 Minuten in der Notaufnahme? Bitte vormachen, Herr Gesundheitsminister!

Gesundheitsminister Hoch: Medizinische Notfallversorgung im Rhein-Lahn-Kreis ist gesichert

Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch teilte in einem Interview mit einem regionalen Printmedium mit, dass er die Notfallversorgung im Rhein-Lahn-Kreis nach einer möglichen Schließung der Bad Emser Paracelsus-Klinik nicht gefährdet sehen würde. Auch für die Bewohner der Kurstadt würde sich kaum etwas ändern. Durch die Schließung der Klinik würde sich die Anfahrtszeit zum nächstgelegenen Notfallkrankenhaus lediglich von 8 Minuten auf 8 Minuten und 40 Sekunden erhöhen. Da stellt sich folgende Frage: Welche Klinik wurde klammheimlich in 8,6 Minuten Fahrtzeit von der Kurstadt errichtet, von der bis heute keiner weiß Herr Gesundheitsminister Clemens Hoch?

 Wir haben uns einmal in einem fiktiven Notfall an der Bad Emser Wilhelmsallee die Fahrzeiten zum nächstgelegenen Akutkrankenhaus angesehen. 24,5 Kilometer ist das Nastätter Paulinenstift entfernt. Um das in 8,6 Minuten zu erreichen, muss der Rettungswagen knapp 170km/h im Schnitt fahren. Natürlich ohne in Kurven abzubremsen oder jemals die Geschwindigkeit zu verringern. Nicht viel besser wird es auf dem Weg nach Koblenz. Für das Brüderkrankenhaus müsste der Rettungswagen mit immerhin noch 120,4 km/h fahren (17,4km), 137,08 km/h im Schnitt bis zum Kemperhof und 168,92 (24,4km) bis ins Bundeswehrlazarett. Gemütliche 116,31 km/h würden reichen für das Evangelische Stift in Koblenz, sofern keine Kurve oder Auto dem entgegensteht.

Schauen wir einmal in die andere Richtung. Um das Diezer Krankenhaus (31,6 km) in 8,6 Minuten zu erreichen, müsste der Rettungswagen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 218km/h erreichen. Mit 144 km/h geht es nach Montabaur. Für Lahnstein würden gemütliche 87 km/h ausreichen, wenn diese denn eine Notaufnahme hätten.

Und wie wäre es mit der Bad Emser Paracelsus Klinik? In 8 Minuten 40 Sekunden? Da dürfte der Rettungswagen im ersten Gang den Berg hochfahren, denn es würden 18km/h ausreichen, um in der vorgegebenen Zeit die Klinik zu erreichen. Gerne lassen wir uns eines Besseren belehren, Herr Gesundheitsminister und sie dürfen vorführen, wie Sie mit ihrem Privatwagen in 8,6 Minuten die Kliniken vom Ausgangspunkt Bad Ems erreichen werden. Möglich wäre das ausschließlich mit einer örtlich ansässigen dauerhaften Rettungshubschrauberstaffel, aber die gibt es nicht.

Auch für die ländliche medizinische Infrastruktur sieht der Gesundheitsminister keine Gefährdung. Ein Rettungswagen wird bestellt und rechtzeitig erscheint ein Notarzt. In Rheinland-Pfalz ist vorgeschrieben, dass binnen 15 Minuten ein Rettungswagen vor Ort sein muss. Damit zählt Rheinland-Pfalz mit Niedersachsen und Brandenburg zu den Schlusslichtern vor Thüringen. Medizinisch wünschenswert wären 10 Minuten bis zum Eintreffen des Rettungswagens.

Ob diese Zeiten immer eingehalten werden können, im ländlichen Rhein-Lahn-Kreis Raum ist fraglich. Nicht grundlos haben sich in vielen kleineren Gemeinden die Ersthelfergruppen FirstResponder organisiert, um die Zeit bis zur Ankunft der beruflichen Sanitäter zu überbrücken. Nicht selten müssen die Rettungskräfte bereits heute weit entlegene Kliniken anfahren. Oftmals melden sich die Notaufnahmen der Krankenhäuser wegen Überlastung ab. Noch unterhält die Bad Emser Paracelsus-Klinik eine solche Notfallstation. Am 31. März soll damit Schluss sein.

Für den Gesundheitsminister Clemens Hoch gibt es keinen kalten Strukturwandel in der Region Rhein-Lahn. Zuletzt hätten 250 Mitarbeiter in der Kurstadtklinik etwa 3800 Patienten betreut. Das entspräche lediglich 10 am Tag. Das medizinische Angebot wäre nicht mehr gefragt und die Belegungszahlen sollen unwirtschaftlich gewesen sein. Planbare Eingriffe wurden vielfach in Wunschkliniken vollzogen und das wäre eben nicht das Bad Emser Krankenhaus gewesen. Dieser Vergleich hinkt. Am Nastätter Paulinenstift sind rund 140 Mitarbeiter beschäftigt. Diese betreuen jährlich ca. 2400 teil - und stationäre Patienten. Der Unterschied liegt darin, dass die Klinik im Blauen Ländchen Bestandsschutz hat.

Geriatrische Notfallpatienten müssten ins Koblenzer Stift-Krankenhaus. Doch was ist, wenn die Notaufnahme wegen Überlastung geschlossen ist?

Ein geriatrischer Notfallpatient wurde bisher spezialisiert, vorzugsweise im Bad Emser Klinikum behandelt. In Zukunft müssen Patienten aus dem Rhein-Lahn-Kreis auf die weit entfernten Lahn-Dill Kliniken in Braunfels oder das Stiftkrankenhaus in Koblenz ausweichen. Eine gesicherte Notfallversorgung für den Rhein-Lahn-Kreis dürfte anders aussehen.

Die medizinische Zukunft für die Bewohner in der Region ist fraglich. Bereits heute sind zahlreiche Hausarztpraxen überlastet und nehmen keine Regelpatienten mehr auf. Es fehlen die sprichwörtlichen Landärzte. Für den rheinland-pfälzischen Gesundheitsminister ist das kein Problem. Er spricht von einer Rund-um-die-Uhr Anlaufstelle für eine erste medizinische Notfalleinschätzung. Zusätzlich bevorzugt er eine Bereitschaftsdienstzentrale oder auch Notaufnahme, die es bekanntlich demnächst in Bad Ems nicht mehr geben soll. Besonderes Augenmerk legt er auf die telefonische Erstberatung der kassenärztlichen Vereinigung unter 116 117. Nach einer telefonischen Einschätzung müsste sich kein Patient mehr unnötig auf den Weg zu einer Notaufnahme machen und dort stundenlang auf eine Diagnose warten.

In Bezug auf die medizinische Versorgung der Menschen im Rhein-Lahn-Kreis setzt Clemens Hoch auf die Gesundheitsreform von Herrn Lauterbach doch genau das ist ein Widerspruch. Dort geht es insbesondere um Vorhalteleistungen und Versorgungsstufen. Das Klinikum in Bad Ems musste dauerhaft Personal vorhalten, um die Notfallaufnahme besetzen zu können. Das soll in Zukunft gesondert finanziell honoriert werden. Zusätzlich soll es Krankenhäuser zur Grundversorgung geben, für grundlegende Eingriffe. All das traf auf die Klinik in Bad Ems zu und nun wird sie geschlossen?

Lauterbach war maßgeblich verantwortlich für die Einführung der Fallpauschalen - Jetzt die Kehrtwende?

Zusätzlich kümmerte sie sich auch noch um die Regel- und Schwerpunktversorgung. Eine Doppelmoral. Während es in anderen Bundesländern durchaus üblich ist, dass Krankenhäuser vor der Schließung von Landkreisen oder Bundesländern gekauft werden, gibt es dafür in RheinlandPfalz keine Gesetzesgrundlage.

Ob öffentlicher Personennahverkehr, städtische Immobilien, Krankenhäuser, Bahn, Telekommunikation oder Energieversorger: Vor einer Privatisierung war die Euphorie oft groß. Weg mit der Beamtengemütlichkeit hin zur freien Marktwirtschaft, doch die Realität hat die Enthusiasten längst eingeholt. Zunächst sollte es eine wegweisende Krankenhausversorgung geben. Klamme Stadt- oder Landeskassen wurden entlastet und ein möglicher Investitionsstau aufgehoben. Viel blieb nicht von der Anfangseuphorie: Vielfach wurden Bereiche nach kurzer Zeit ausgelagert und Personal ausgedünnt. In Bad Ems sah es nicht viel besser. Die Klinikzimmer entsprachen dem Charme der 90er Jahre, mit Röhrenfernsehern, kein W-Lan und genauso wenigen Wahlleistungen. Während die medizinische Versorgung durchaus auf hohem Niveau war, mussten die Patienten auf vielfachen Komfort verzichten. In der heutigen Dienstleistungszeit durchaus ein Kriterium. Die Mahlzeiten waren dürftig und entsprachen kaum dem Standard. All das konnte selbst mit hoch engagierten Personal und fantastischen Ärzten kaum ausgeglichen werden. Große Hoffnungen setzte man seinerzeit auf den Betreiber der Paracelsus-Kliniken. Es folgten vollmundige Versprechen, aber nur wenige nötige Investitionen in den Standort.

Dabei hätte das Hospital durchaus eine Chance verdient gehabt. Motiviertes Personal, eine gute Anbindung und hervorragende Ärzte: das waren die besten Voraussetzungen, wenn man denn gewollt hätte. Seit Jahrzehnten schreitet die Privatisierung von Kliniken aus öffentlich-rechtlicher Hand an freie Unternehmen voran. 2004 wurde mit dem Krankenhaus-Modernisierungsgesetz unter Bundeskanzler Gerhard Schröder in weiteren Formen die Privatisierung vorangetrieben. Das merkten die schlechter gestellten Patienten bei den Zuzahlungen für Medikamente, bei Vorsorgeuntersuchungen und Zusatzversicherungen. Nicht selten sind einige Vorsorgeuntersuchungen kostenpflichtig. Wer gesünder und sicherer leben wollte, musste den Griff ins eigene Portemonnaie wagen. Nicht jeder konnte sich das leisten.

Bereits 2003 wurde in Deutschland die Fallpauschale für Krankenhäuser eingeführt. Federführend war der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Damit sollte erreicht werden, dass die Krankenkassenbeiträge stabil blieben und vor allem aber, dass die Krankenhäuser in einem finanziellen Wettbewerb gegeneinander antraten. Viele haben das nicht überlebt. Und heute spricht der gleiche Karl Lauterbach von der nun kommenden größten Reform seit 20 Jahren im Gesundheitswesen. Auf dem Weg bis dorthin dürften noch so einige Krankenhäuser auf der Strecke bleiben.

Während in zahlreichen Bundesländern die SPD vehement für den Erhalt der Kliniken kämpft und sogar über die zwangsweise Rekommunalisierung nachdenkt, kommt nur wenig Hilfreiches von der Mainzer Landesregierung. Offenbar wurde der Gesundheitsstandort Bad Ems und der Rhein-LahnKreis aufgegeben. Für die Zukunft der Notfallversorgung im Rhein-Lahn-Kreis sieht es düster aus. Rettungswagenfahrer werden noch häufiger wegen ausgelasteter Notaufnahmen verzweifelt nach erreichbaren Kliniken suchen. Bereits im Herbst wird die B42 in Lahnstein zu Teilen gesperrt. Die Bad Emser müssen für ihren Weg auf die Arbeit nach Koblenz über die Denzer Heide fahren. Ein enormer Umweg. Und auch dort soll es zu keinen Engpässen in der Notfallversorgung kommen? Die Realität ist längst eine andere.

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Datum: 09.02.2023
Rubrik: Politik
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