Vor 125 Jahren wurde das Gesellenhaus in Oberlahnstein erbaut

Lahnstein hat Geschichte, Folge 759

Vor 125 Jahren wurde das Gesellenhaus in Oberlahnstein erbaut

1865 erfolgte die Gründung des Katholischen Gesellenvereins Oberlahnstein, seit 1933 in Kolpingfamilie umbenannt. Nach der Gründung hielt der Verein seine Versammlungen in verschiedenen Gaststätten und Sälen ab. Durch die Industrialisierung und Zunahme der Handwerksbetriebe gingen immer mehr Handwerksgesellen auf Wanderschaft, um ihre Kenntnisse in der Fremde zu erweitern. So wurden in den Jahren 1880 bis 1895 jährlich circa 120 durchwandernde Gesellen, die Bereuung und Unterkunft erbaten, vom Präses des Gesellenvereins mangels eines Gesellenhauses in den Gasthäusern untergebracht.

Nach langen Verhandlungen und reiflichen Überlegungen mit dem damaligen Pfarrer, Ehrenpräses Josef Michels, und Präses Kaplan Laufer entschloss man sich zum Bau eines Gesellenhauses, in dem auch alle übrigen katholischen Vereine Unterkunft finden sollten. Nach dem Kauf eines Bauplatzes in der Wilhelmstraße gegenüber dem Schillerpark wurde 1896 mit dem Bau begonnen. Der massive Backsteinbau mit Schieferdach wurde nach der Ausstattung mit Möbeln, der Einrichtung einer Bühne und einer Kegelbahn am 17. Juli 1898 feierlich eingeweiht. Die benötigten 35.000 Mark wurden über Spenden und Darlehen finanziert, 10.000 Mark hatte der Verein selbst beigesteuert.

Im Erdgeschoss befanden sich außer Küche und Waschküche eine Wirtsstube mit Büfett und Billard, der 23 Meter lange Festsaal, die Theaterbühne und der Versammlungsraum des Lehrlingsvereins. Über der Bühne stand als Spruch zu lesen: „Dem Wahren, Guten, Schönen.“ Bei großen Festveranstaltungen konnten die Saaltüren zwischen Wirtsstube und Saal geöffnet werden, sodass ein großer Raum für 650 Personen (Stuhlreihen) entstand. Im Obergeschoss befanden sich unter anderem die Nähstube des Paramentenvereins, ein Vorstandszimmer und ein großer Versammlungsraum. Im Dachgeschoss waren die Wohnung des Hausmeisters und drei Schlafkammern für durchwandernde Gesellen untergebracht. Der Bau enthielt im Keller eine Kegelbahn und einen großen Weinkeller, welcher von 1898 bis 1922 an den Oberlahnsteiner Winzerverein verpachtet war.

Am hochgezogenen Giebel des Vorderhauses stand in einer Nische die lebensgroße Figur des Heiligen Josef, des Schutzpatrons der katholischen Gesellenvereine. Im Saal stand die Büste des Gesellenvaters Adolph Kolping. 1905 ging das Anwesen vom Gesellenverein in das Eigentum der Katholischen Kirchengemeinde über.

Die abgehaltenen Veranstaltungen waren vielfältig: Versammlungen, Vortragsabende, Kegelabende, Theateraufführungen, Operetten, Kaffeenachmittage der Jungfrauenbruderschaft, des Frauenbundes und des Vereins der Katholischen Gehilfinnen und Beamtinnen, Konzerte des Kirchenchores und der Männergesangvereine, Weihnachtsfeiern, Dreikönigs- und Fastnachtsbälle, Kommersabende, Begrüßungsabende beim Bischofsempfang, Familienabende beim Namenstag des Pfarrers und Präses sowie Gefallenen-Gedenkfeiern im November. Sonntagabends traf sich der Präses mit seinen Gesellen, ferner Bürger und Handwerksmeister mit ihren erwachsenen Söhnen und Töchtern zum Schoppen.

Der Erste Weltkrieg brachte das Vereinsleben zum Erliegen. Das Gesellenhaus diente vier Jahre als Kriegslazarett und anschließend bis 1921 als Kaserne für französische Besatzungstruppen. 1924 waren eine komplette Renovierung und Umgestaltung abgeschlossen. Seit diesem Jahr besaß der Verein ein eigenes Orchester. Während der nationalsozialistischen Zeit wurde der Gesellenverein beziehungsweise die Kolpingfamilie zunächst mehr und mehr aus dem sozialen auf das rein religiöse Gebiet zurückgedrängt und schließlich ganz verboten, das Haus 1938 geschlossen.

Beim Bombenangriff am 11. November 1944 erhielt das Gebäude mehrere Volltreffer. Vorderhaus und Saalbau gingen in Trümmer, das gesamte Inventar fiel den Flammen zum Opfer. Die Frau des Hausmeisters Weihrauch und ihre drei Kinder fanden hierbei den Tod, während ihr Mann als Soldat im Felde stand. Ein tragisches und trauriges Ende.

Die Trümmer und das Grundstück in der Wilhelmstraße wurden 1954 vom Katholischen Kirchenfonds Oberlahnstein infolge der großen Wohnungsnot für den Neubau von Wohnungen an eine Baugesellschaft verkauft, die Kolpingfamilie erhielt einen Anteil des Erlöses. Als neues Vereinsheim diente der Kolpingsaal im St. Josefs-Heim (Altenheim an der Hochstraße). Seit einigen Jahren hat die Kolpingfamilie ihren Treff im Pfarrzentrum am Europaplatz.

 

Foto: Sammlung Stadtarchiv Lahnstein

1965 hatte Josef Thiel das alte Gesellenhaus als Modell nachgebaut. Es befindet sich heute im Stadtarchiv.

Regionale News aus Koblenz

Datum: 11.07.2023
Rubrik: Lahnstein
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