
Drei Jahre Wiederaufbau im Ahrtal
Ahrtal im Aufbau – zwischen Herausforderungen und Hoffnung
Grafschaft/Sinzig/Koblenz (dpa/lrs) - Drei Jahre ist es nun her, dass die Flut das Ahrtal zerstörte. 135 Menschen starben in der Region, Tausende Häuser wurden zerstört. Seit drei Jahren wird auch am Wiederaufbau gearbeitet. Drei Geschichten aus einer Region zwischen Hoffnung, Verzweiflung und Durchhalten.
Trauer und neuer Mut bei Caritas Werkstätten in Sinzig
Wenn Britta Lott an den Tag nach der Flutkatastrophe zurückdenkt, erinnert sie sich vor allem an den Gestank. «Der Geruch, das ist was, was man nicht vergisst», sagt die Einrichtungsleiterin der Caritas Werkstätten im Kreis Ahrweiler. «Eine Mischung aus Heizöl, Schlamm, Fäkalien.» Auch eine unangenehme Ruhe blieb ihr in Erinnerung. «Man hört erst mal nichts, außer dem Schwappen vom Wasser.»
Mittlerweile ist davon an den Caritas Werkstätten in Sinzig nichts mehr zu riechen oder zu hören – aber sichtbar sind die Folgen der Flut noch immer. Auf dem Gelände wird gebaut und saniert, nach und nach entsteht wieder ein berufliches Zuhause für die Beschäftigten.
Kurz nach der Flut hieß es zunächst einmal: Aufräumen. Lott versuchte auch, jeden einzelnen Mitarbeiter anzurufen. «Ich hab' den letzten Mitarbeiter tatsächlich erst zehn Tage nach der Flut erreicht. Das war für uns gefühlt wie Ostern und Weihnachten an einem Tag», erinnert sie sich. Doch sie erreichen auch schreckliche Nachrichten: Zwölf Bewohner des Lebenshilfehauses in Sinzig sterben im Hochwasser – die allermeisten davon arbeiteten in den Caritas Werkstätten. «Da sind viele Tränen geflossen an dem Freitag», sagt Lott.
Positiv erinnert sie sich hingegen an die Welle der Hilfsbereitschaft nach der Flut und an die Mithilfe ihrer Beschäftigten. «Wir haben viele Übergangslösungen. Ich bin im Prinzip jeden Tag woanders. Mitarbeiter haben sich aufgeteilt», sagt sie. Eigentlich bräuchten die Menschen Struktur und Beständigkeit. «Und wir haben in den letzten drei Jahren von ihnen genau das Gegenteil verlangt. Die haben das mit einer Ruhe mitgemacht.»
Ein Problem sei zurzeit die begrenzte Lagerkapazität in der Werkstatt, sagt sie. «Den Betrieb aufrechtzuerhalten und dabei dem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, das ist im Moment die allergrößte Herausforderung.» Für die komplette Sanierung in Sinzig werden laut Lott rund 28 Millionen Euro benötigt. In einem Jahr soll das Werk 1 am Standort wieder in Betrieb genommen werden. «Dann sind alle wieder da, wo sie hingehören.»
Vernetzen und Lernen bei der «Wissenschaft für den Wiederaufbau»
Die ersten Tage nach der Flut waren chaotisch, Hunderte Helfer strömten ins Ahrtal. «Wir haben gemerkt, dass sich sehr, sehr viele im Ahrtal tummeln aber untereinander nichts voneinander wissen», erzählt Lothar Kirschbauer vom Kompetenznetzwerk «Wissenschaft für den Wiederaufbau». Daraufhin entstand die Idee, die Wissenschaft zusammenzubringen und zu vernetzen.
2021 gab es einen Auftaktworkshop, im März 2022 wurde die Geschäftsstelle eingerichtet. Zunächst habe man auf die dringlichen Themen im Ahrtal reagiert, sagt Ulrike Kirchner, die bis zu ihrem Ruhestand die Geschäftsführerin war. Das Netzwerk holt Wissenschaftler, Kommunen, Ingenieurbüros, Ministerien und zuständige Behörden an einen Tisch.
Sie organisieren mehrere Workshops, etwa zum Thema Brücken. «Das ist nicht nur Wasserwirtschaft, sondern eine Brücke ist auch ein identitätsbildendes Objekt, Fußweg, Radweg, hat Einfluss aufs Landschaftsbild», sagt Kirchner. «Wir müssen jedes Thema, was wir da angehen, aus verschiedensten Blickwinkeln betrachten.»
Solche Katastrophen könnte es in Zukunft auch in anderen Regionen geben, sagt Kirschbauer. «Wir müssen versuchen, die Erfahrungen, die Erkenntnisse auch auf andere Regionen weiterzutransportieren. Und das können wir über die Wissenschaft versuchen, zu erreichen.»
Familiärer Zusammenhalt in Containern am Are-Gymnasium in Grafschaft
Die rund 880 Schülerinnen und Schüler des Are-Gymnasiums standen nach der Flutkatastrophe plötzlich ohne Schule da. Im Erdgeschoss des Schulgebäudes stand das Wasser bei der Flut Schulterhoch. «Im Endeffekt ist die komplette Schule überhaupt nicht mehr einsetzbar gewesen», sagt Schulleiterin Nina Pfeil. Schülerinnen und Schüler packten in den Tagen danach beim Aufräumen mit an. «Das hat uns sehr zusammengeschweißt, miteinander etwas zu tun und miteinander zu leiden.»
Auch heute später findet der Unterricht des Are-Gymnasiums noch in einem Provisorium statt. Wo vorher eine große Wiese war, ziehen Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte in Container. An den Tag des Einzugs kann sich Pfeil noch gut erinnern. «Das war einer von den tollsten Tagen, die wir hatten. Die Schülerinnen und Schüler waren so glücklich wieder in die Schule gehen zu können.»
Doch neben der Freude über das Zusammenkommen ergeben sich über die Jahre auch Probleme – denn es ist und bleibt eine Zwischenlösung. Die Hitze und der fehlende Lärmschutz seien die größten Probleme zurzeit, sagt Pfeil. Daran werde bereits gearbeitet.
Von außen werde ihr manchmal Unverständnis entgegengebracht, warum die Sanierung der Schule noch nicht abgeschlossen sei. «Ich wünsche mir auch, dass es alles schneller und unproblematischer geht», sagt Pfeil. Sie sehe aber auch, dass es in der Umsetzung schwierig sei und vieles gar nicht schneller gehe. «Ich wünsche es mir und weiß, dass es unrealistisch ist.» Am wichtigsten sei ihr am dritten Jahrestag der Flut aber vor allem eines: «Dass man nicht in Vergessenheit gerät.»
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