
Mordprozess beginnt mit Protest und Tränen
Eine Familie flieht aus einem Kriegsland nach Deutschland, die Frau emanzipiert sich, lässt sich scheiden. Die Staatsanwaltschaft ist sicher: Ihr Ex-Mann hat sie vor den Augen der Tochter erstochen.
Darmstadt/Schifferstadt (dpa) -
Eine Zeugin bricht in Tränen aus, der Angeklagte rebelliert - der Mordprozess vor dem Landgericht Darmstadt beginnt emotional. Wahid H. soll laut Anklage seine Ex-Frau vor den Augen der zehnjährigen Tochter erstochen haben.
Der Angeklagte stammt aus Afghanistan. Zusammen mit seiner Frau und drei Kindern floh die Familie 2021 nach Deutschland. Wahid H., so Staatsanwalt Sebastian Zwiebel, habe seiner Frau einen Schleier vorgeschrieben, ihr ein Studium verboten und sie regelmäßig misshandelt. Er habe ihre Emanzipation nicht ertragen können. «Aus von Besitzdenken getriebener Wut» und «mit unbedingtem Vernichtungswillen» habe er sie ermordet.
Bluttat in der Küche
Die 34 Jahre alte Frau starb am 4. Dezember 2024 in ihrer Wohnung in Bensheim (Kreis Bergstraße). Der 37 Jahre alte Angeklagte lebte in Schifferstadt (Rhein-Pfalz-Kreis). Das Paar war ein halbes Jahr zuvor geschieden worden, über das Sorgerecht wurde noch gestritten. Eine zehnjährige Tochter und ein neunjähriger Sohn lebten bei der Mutter. Das jüngste Kind durfte nach einer Reise in den Iran nicht nach Deutschland zurückkehren.
Gleich am ersten Prozesstag sagten rund ein Dutzend Zeugen aus, die in der Tatnacht vor Ort oder in der Nähe waren: Nachbarn, Sanitäter, Seelsorger und Familienhelfer. Sie schilderten übereinstimmend, was sie am Tatort erlebt haben und was die Tochter ihnen berichtete. Demnach tauchte Wahid H. nachts vor dem Haus auf und begehrte lautstark Einlass. Sie ließ ihn schließlich herein, es kam zu einem lautstarken Streit.
Engel mit blutigem Hals
Die Tochter schilderte den Zeugen, der Vater habe mit einem «kleinen roten Messer» in der Küche der Mutter den Hals aufgeschlitzt. Die Tochter berichtete den Zeugen, ihr Vater habe versucht, der toten Mutter «den Kopf abzureißen», was er auch vorher angedroht habe.
Die Familienhelferin, die Mutter und Kinder seit ihrem Umzug nach Hessen betreut hatte, brach bei ihrem Bericht in Tränen aus. Das Mädchen habe immer wieder gefragt, wo der Kopf der Mutter sei. Später habe sie ein Bild gemalt, von einem Engel mit einem blutigen Hals.
Kinder in der Psychiatrie
Das Mädchen habe die Tat unmittelbar mitbekommen, so die Zeugen. Die Zehnjährige habe versucht, den Vater selbst mit einem Messer anzugreifen, um ihn zu stoppen. Der kleine Bruder sei im Nebenzimmer gewesen. Nach der Tat flohen die Kinder blutverschmiert zu einem Nachbarn, der die Polizei rief. Die «völlig traumatisierten» Kinder kamen erst in eine Wohngruppe, dann in die Psychiatrie.
Wahid H. wurde wenige Stunden nach der Tat in der Nähe des Tatorts festgenommen. Die Nachricht habe bei den Kindern Erleichterung ausgelöst, so die Zeugen. Sie hätten Angst vor ihm gehabt und ihn «gehasst». Der in Schifferstadt lebende Bruder des Angeklagten schilderte die schwere Kindheit der Familie in Afghanistan und dem Iran.
Angeklagter auf dem Boden
Der Angeklagte nannte die Anklage, die ihm übersetzt wurde, «nicht zutreffend». Er sei unschuldig. Seine Frau habe eine Affäre mit seinem Bruder gehabt. Seine Frau habe zu ihm zurückkommen wollen, in der Tatnacht habe sie zugestimmt, mit ihm intim zu werden.
Die ihm zugeteilte Pflichtverteidigerin lehnt Wahid H. ab. Er wolle nicht von ihr verteidigt werden, sie habe sich bisher nicht um ihn gekümmert. Anfangs weigerte sich der Angeklagte vehement, sich auf die Anklagebank zu setzen, nahm dann auf gutes Zureden hin aber doch Platz. Als sein Bruder in den Zeugenstand trat, versteckte er sich neben dem Stuhl halb unter dem Tisch.
Nach dem Auftakt am Freitag sind bisher vier weitere Termine vorgesehen.
dpa
Bild: Der Angeklagte will sich nicht setzen: Er lehnt die Pflichtverteidigerin ab. | Sandra Trauner/dpa
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