
Lahnstein hat Geschichte, Folge 733
Vor 100 Jahren: Richtfest von Haus Jungfried in Friedrichssegen
Außerhalb von Lahnstein-Friedrichssegen, im Süßgrund, befindet sich das Haus Jungfried. Es handelt sich um einen reich gestaffelten Putzbau mit tiefgezogenen Krüppelwalmdächern in anthroposophisch geprägten Formen der Reformarchitektur.
Bauherr Paul Multhaupt (1884-1933) war ein Industrieller. Er war Vorstand der Firma Eduard Schloemann, Konstruktionsbüro für hydraulische Pressen und Walzwerke, in Düsseldorf und kaufte die Grube Friedrichssegen, die er von 1926 bis 1928 wieder in Betrieb nahm. Multhaupt gefiel sich in der Rolle eines Förderers von Kunst und Wissenschaft, besaß selbst eine große Sammlung moderner Kunstwerke. Er beauftragte den Krefelder Architekten Karl Buschhüter (1872-1956), ihm ein repräsentatives, eigenwilliges Herrenhaus dort zu errichten. Ursprünglich dachte Multhaupt an eine größere Jagdhütte. Doch in der Diskussion mit Buschhüter, der als Wegbereiter des ökologischen Bauens gilt, entwickelte sich daraus ein Riesenprojekt: Ein Kulturzentrum mit Landwirtschaft, ein Doppelhaus mit zahlreichen Nebengebäuden. Multhaupt dachte an einen Ort der künstlerischen Begegnung und Erfahrung auf der Basis einer ganzheitlich ausgerichteten Umwelt- und Lebensgestaltung.
Multhaupts Denkweise lässt sich aus seiner Rede zur Grundsteinlegung vermitteln: „Eine Tat wollte ich tun, meine lieben Freunde, die jeder von uns in seinem persönlichen Leben einmal tun sollte, ein Haus zu bauen, das ich vor nunmehr zehn Jahren meiner jungen Frau zu bauen versprach und diese tiefen Wälder, diese grünen Wiesen und wechselnden Hänge sollten den Platz dafür hergeben. Im Baumeister Buschhüter, dem Hüter als wahrhaft Schönen, fand ich den Mann, der meine und meiner Frau innerste Wünsche bald erfüllte und das im Geiste werdende Haus bald zum fertigen Bilde formte. Ein Haus, meine lieben Freunde, soll hier erstehen, das Ruhe und Erholung bietet von überanstrengender Arbeit im rollenden Wirtschaftsgetriebe. Aber weil der Mensch Erholung und inneres Gleichgewicht nur findet in Verbindung mit neuen Taten, soll dieses Haus harmonisch vereinigt werden einem Hofe, der produktive Arbeit leistet und Werte schafft. So wachse und werde denn Haus Jungfried, schirme mit Deinen Dächern die Familie, die Freunde und alle Diener am Werk.“
Richtfest wurde am 16. Dezember 1922 gefeiert. In der Zeit des Bauens waren hier bis zu 200 Arbeiter beschäftigt, die das Haus mit überwiegend hier vorhandenen Baumaterialien errichteten. So wurden beispielsweise das Haus und später auch die Umfassungsmauern mit Bruchsteinen aus dem nahegelegenen Wald errichtet, wie auch die erforderlichen Hölzer aus diesem Wald geschlagen wurden. Doch die Kosten stiegen ins Unermessliche. Bauherr und Architekt zerstritten sich derart, dass 1925 ersatzweise Karl Dahmen aus Krefeld verpflichtet wurde. Er baute im Buschhüter‘schen Sinne weiter, wenn auch ohne dessen radikale Vorstellungen. Doch das Kulturwerk blieb als Gesamtprojekt unvollendet. Fertig wurde das sogenannte Walterhaus. Hier lebten die Familie und auch die oft zahlreichen Gäste. Das Haus wurde später verputzt.
Der Weltwirtschaftskrise folgte eine persönliche Krise des Bauherrn. 1932 trennte sich Paul Multhaupt von seiner Frau Hertha aus dem Hause der Düsseldorfer Industriellenfamilie Schloemann und heiratete erneut. Er geriet in finanzielle Schwierigkeiten und beging am 19. Januar 1933 in Berlin Selbstmord.
Das Gebäude zählt heute zu seinen bedeutendsten und bekanntesten Hinterlassenschaften. Multhaupts zweite Frau Dory lebte hier von 1933 bis 1984. 1946 wurde das Haus Jungfried auf Rentenbasis der Diakonie Friedenswarte, Bad Ems, übereignet. Bis um 1990 wurde es als Altersheim für Diakonissen genutzt und dafür entsprechend umgebaut. Von 1990 bis 1999 diente es als Aussiedlerwohnheim, in jüngster Zeit als Wohnhaus.
Foto: Sammlung Stadtarchiv Lahnstein
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