Wie Gemälde nach der Ahr-Flut gerettet werden

"The Schlamm is everywhere"

Wie Gemälde nach der Ahr-Flut gerettet werden

Frankenthal (dpa/lrs) - Der Übergang von der Kunst zur Katastrophe ist fließend. Auf dem beschädigten Gemälde ist kaum erkennbar, wo die Farben aufhören und die Kruste beginnt, die das Ahrtal-Hochwasser im Sommer 2021 auf der Leinwand hinterlassen hat. «Einige Schlamm- und Malschichten sind fast nicht voneinander zu unterscheiden», sagt Maria Lucia Weigel. «Das abzutragen, ist eine Herkulesaufgabe.»

Weigel leitet das Erkenbert-Museum im pfälzischen Frankenthal, das sieben Bilder aus dem Ahrtal zur Restaurierung aufgenommen hat. «Als ich die Schäden zum ersten Mal sah, kamen mir die Tränen», sagt sie.

Mindestens 134 Menschen riss die Ahr-Sturzflut in den Tod. Häuser, Straßen und Schienen wurden beschädigt oder weggerissen. Auch im Depot des Stadtmuseums Bad Neuenahr-Ahrweiler stand das Wasser. «Wir haben schnell angeboten, Objekte zu restaurieren», sagt Weigel. Eine Grundreinigung übernahm das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe. Dort holten die Frankenthaler die Bilder ab.

Glückliche Fügung: Wegen eines Umzugs der Sammlung hatte das Museum einige Restauratoren angestellt, die nun weiterbeschäftigt werden. So können die Pfälzer bei der Hilfe für Bad Neuenahr-Ahrweiler unter anderem auf die Expertise von Joanna Bella bauen - die erfahrene Gemälderestauratorin hat in den Staatlichen Kunstsammlungen auf Schloss Wawel in Krakau gearbeitet. Die Bilder aus dem Ahrtal seien in einem «schrecklichen Zustand», sagt Bella. «The Schlamm is everywhere.» Er drang in Leinwand, Grundierung und Malschichten und verformte Bildträger und Rahmen.

Kunst wird immer wieder Opfer von Unglücken, etwa beim Elbehochwasser 2002, dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar 2004 oder dem Einsturz des Stadtarchivs in Köln 2009. Stets sind Kunsteinrichtungen dann bundesweit aufgerufen, zu unterstützen. Gleich nach der Flut hatte Bettina Scheeder, die damalige Geschäftsführerin des Museumsverbandes Rheinland-Pfalz, einen Notruf an Museen abgesetzt. Es dauerte aber, bis die Kulturgüter geborgen werden konnten. «Erst mussten die Menschen gerettet werden», sagte Scheeder im August 2021.

In Frankenthal liegt an diesem Tag das Werk «Kurgarten Bad Neuenahr» des Malers Bernhard Müller-Feyen auf Bellas Tisch. Kein Sonnenstrahl dringt durch die geschlossenen Jalousien, stattdessen erhellt gleißendes Kunstlicht die Bilder - ihr Zustand ist beklagenswert.

«Zwei Bilder sind leider verloren. Die Malschicht ist zerbröselt», sagt Weigel. Die Durchfeuchtung und unkontrollierte Trocknung der schlammverkrusteten Bilder führte zum Verlust der Konsolidierung der Malschichten und zur Schwächung der Leinwandstruktur. Die Gemälde dienten nun als Studienobjekt, welche Schäden Kunst nehmen kann, sagt Weigel. «Zwei andere Bilder werden fertig, drei weitere sind in Arbeit - ich denke, die werden wieder ausstellbar sein.»

Für Bella sind die Bilder nicht nur Gemälde, sondern auch Zeugen einer Tragödie. «Hier sieht man den Beweis, dass alles zerbrechlich ist», sagt sie. «Die Natur lässt nicht mit sich diskutieren.»

Eine Herausforderung: Weil sich die Malstile und Materialien unterscheiden, muss jedes Bild anders behandelt werden. Mit feinmechanischen Instrumenten wie Pinsel und Stäbchen trennt Bella getrockneten Schlamm von der Leinwand. Die behutsame Millimeter-Arbeit erinnert an eine Operation am offenen Herzen. Manchmal, sagt die Restauratorin, träume sie nachts von dieser Arbeit. «Es ist ja eine Leidenschaft und nicht bloß ein Job», sagt sie. «Wenn wir mit unserer Hilfe den Menschen an der Ahr mehr Hoffnung geben können, ist viel erreicht.»

Weigel sieht es ähnlich. «Durch die Flut droht das kulturelle Erbe des Ahrtals verloren zu gehen. Es geht aber darum, das Gedächtnis des Ortes zu bewahren.» Mehrere hundert Stunden hat das Erkenbert-Museum bereits an den Bildern gearbeitet. «Wir rechnen nur das Material über den Museumsverband ab. Sonst wäre das nicht bezahlbar», sagt Weigel. Sie geht davon aus, dass die Restaurierung noch Monate dauert.

Auch ein historisches Trinkglas aus geschliffenem Kristall mit einem filigranen Metallkranz auf dem Silberdeckel ist im Museum gelandet, gerettet aus Fluten im Ahrtal. «Ein echtes Meisterwerk», schwärmt Bernd Mohr. Um es zu reinigen, hat der Metallrestaurator einen Glasfaserstift selbstgebaut - «andere Instrumente waren zu stumpf».

Jetzt glänzt der Kranz. Er wurde mit Wachs versiegelt, der Deckel in ein Spezialtuch gehüllt, um während der Lagerung das erneute Anlaufen zu verhindern. Was ist das Wichtigste bei der Wiederherstellung? Mohr lacht. «Können und Zuversicht, dass man es schafft, sind der Ausgangspunkt», sagt er. «Das Wichtigste ist, dass man dranbleibt.»

Foto: Uwe Anspach/dpa

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Datum: 16.02.2023
Rubrik: Gesellschaft
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