"Es lässt niemanden los" - Luises Tod hinterlässt viele Spuren

Vier Monate nach dem Mord

"Es lässt niemanden los" - Luises Tod hinterlässt viele Spuren

Freudenberg (dpa) - Mitten im Wald erinnern noch immer Engel und Stofftiere an Luise. In einer Vase stehen rote Rosen, ein Grablicht brennt. Gut vier Monate ist es her, dass die Zwölfjährige in dem Waldstück bei Freudenberg in Südwestfalen erstochen wurde. Zwei Mädchen, selbst erst 12 und 13 Jahre alt, haben die Tat gestanden. Die Kleinstadt war in Schockstarre - an den Schulen gab es keinen Unterricht, Veranstaltungen fielen aus, Menschen trauerten in den Kirchen. Gleichzeitig strahlte der Fall bis in die Politik: Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) versicherte, Luises Tod werde nicht ohne Folgen bleiben. Und heute, gut vier Monate danach?

«Die Freudenberger haben jeder für sich einen Weg gefunden, mit dem Unfassbaren umzugehen», sagt Bürgermeisterin Nicole Reschke (SPD). Jetzt im Sommer kommen viele Touristen in die Stadt, bewundern den Blick auf die berühmte Fachwerkkulisse der Altstadt. Immer wieder sei der Tod von Luise Gesprächsthema. «Es lässt niemanden so richtig los», sagt Reschke. Aber es überlagert nicht mehr alles andere. «Mittlerweile sind gemeinsame Feiern zum Glück wieder möglich, die Abschlussjahrgänge der Gesamtschule haben ihre Zeugnisübergaben fröhlich begangen, ebenso wie die Dörfer ihre Jubiläumsveranstaltungen», sagt die Bürgermeisterin.

Dass zwei 12- und 13-Jährige ein gleichaltriges Mädchen umbringen, ist für viele Menschen unbegreiflich und hat den Fall über Tage hinweg zu einem beherrschenden Thema in Deutschland gemacht. Viele Diskussionen wurden geführt: Ist es zeitgemäß, dass die mutmaßlichen Täterinnen ohne Strafe davonkommen, weil Kinder unter 14 Jahren in Deutschland grundsätzlich nicht strafmündig sind? Kann und muss der Staat mehr gegen Jugendgewalt tun? Ministerpräsident Wüst versprach, die Landesregierung werde das Thema in den Fokus nehmen.

Die Tat von Freudenberg fiel ohnehin in eine Zeit, in der Statistiken einen ungewöhnlich starken Anstieg von Gewalttaten bei Jugendlichen und insbesondere bei Kindern zeigten. So ermittelte die Polizei in Nordrhein-Westfalen 2022 gegen knapp 21 000 tatverdächtige Kinder unter 14 Jahren - ein rasanter Anstieg um 41,1 Prozent innerhalb eines Jahres, während die Entwicklung in anderen Altersgruppen weit weniger auffällig war. Vor allem im Bereich Gewaltkriminalität sei der Anstieg «signifikant», schreibt das Innenministerium. Der Fall Luise hat diese Statistiken für viele Menschen konkret werden lassen.

«Es ist unsere Verantwortung als Gesellschaft, dass unsere Kinder in einer sicheren Umgebung aufwachsen können», mahnt Wüst. «Wir müssen ihnen beibringen und sie darin unterstützen, Konflikte friedlich zu lösen.» Er verweist darauf, dass es an den Schulen mehr Angebote etwa durch Schulpsychologen oder Sozialarbeiter gebe. Die Landesregierung habe den Schulen außerdem aktualisierte Handlungsempfehlungen für verschiedene Krisenfälle zur Verfügung gestellt. Auch die Polizei nehme die Jugendkriminalität stärker in den Blick.

Oft spielen Mobbing und die sozialen Netzwerke eine große Rolle bei Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. «Psychische Gewaltkriminalität im digitalen Raum ist, insbesondere im Jugendalter, ein verbreitetes Phänomen geworden», analysiert das Innenministerium. Doch das Thema ist für die Behörden bislang noch abstrakt. Die Landesregierung bringt im Moment eine Studie auf den Weg, um die Ursachen und die Mechanismen von Kinder- und Jugendkriminalität besser zu verstehen.

Der Staat allein werde aber trotz aller Bemühungen immer nur begrenzte Möglichkeiten haben, macht Wüst klar. «Letztlich sind wir alle als Gesellschaft gefordert, hinzuschauen und dabei mitzuhelfen, solche Tragödien zu verhindern.»

Für Polizei und Staatsanwaltschaft ist der Tod von Luise inzwischen so gut wie ausermittelt. Das Verfahren gegen die beiden geständigen 12- und 13-jährigen Mädchen werde bald eingestellt, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Siegen. Weil die Mädchen nicht strafmündig sind, wird es keine Anklage geben, keinen Prozess und kein Urteil.

Auch die Frage nach dem Warum wird für die Öffentlichkeit unbeantwortet bleiben. Warum musste die Schülerin sterben? Und warum begingen zwei Kinder eine so grausame Tat? Die Ermittler haben Erkenntnisse dazu, äußern sich aber öffentlich nicht. Die mutmaßlichen Täterinnen müssten geschützt werden - weil sie selbst noch Kinder seien. Nur so viel: «Was für Kinder möglicherweise ein Motiv ist für eine Tat, würde sich einem Erwachsenen möglicherweise nicht erschließen», hatte der Leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler im März gesagt.

Die beiden mutmaßlichen Täterinnen müssen ebenfalls einen Umgang mit dem Geschehenen finden. «Die tatverdächtigen Mädchen befinden sich nach wie vor in therapeutischen Einrichtungen», sagt eine Sprecherin des Kreises Siegen-Wittgenstein. «Die Mädchen unterliegen der Schulpflicht, die aktuell nicht in einer regulären Schule erfüllt wird.» Die Frage, ob die beiden eines Tages womöglich wieder in Freudenberg leben könnten, sei Teil der therapeutischen Gespräche.

Pastor Thomas Ijewski, der Luises Familie nach der Tat begleitet und auch die öffentliche Trauerfeier gehalten hat, ist beeindruckt davon, welchen Umgang die Menschen in Freudenberg mit den beiden Mädchen und ihren Familien gefunden haben. «Es gibt keinen Hass gegen die Täterfamilien», sagte er der «Siegener Zeitung». «Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft lassen sie nicht fallen und verstoßen sie nicht.»

Foto: Oliver Berg/dpa

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Datum: 25.07.2023
Rubrik: Blaulicht
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