Was die Wahlrechtsreform bringt - CDU in Rheinland-Pfalz sorgt sich

Parlament fortan auf 630 Mandate begrenzt

Was die Wahlrechtsreform bringt - CDU in Rheinland-Pfalz sorgt sich

Mainz/Trier (dpa/lrs) - Wer aus Rheinland-Pfalz wird im kommenden Bundestag sitzen? Trotz schwindender Parteienbindungen und einer zunehmend zersplitterten Parteienlandschaft war bislang immer klar: Wer seinen Wahlkreis gewinnt, sitzt künftig im Parlament in Berlin. Doch nach der Reform des Wahlrechts ist dem nicht mehr so. Das treibt so manche Partei in Rheinland-Pfalz um und wird am Wahlabend am 23. Februar Fragen offen lassen. 

Zentrales Ziel der Reform der Ampel-Regierung von 2023 war es, den in den vergangenen Jahren immer größer gewordenen Bundestag zu verkleinern. Deswegen ist das Parlament fortan auf 630 Mandate begrenzt. Damit das gelingt, gibt es keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr. 

Größtes Parlament in westlichen Demokratien

Erstere gab es bislang, wenn eine Partei aufgrund von Wahlkreissiegen mehr Abgeordnete in den Bundestag senden kann, als ihr dem Zweitstimmenanteil nach zustehen. Damit unter dem Strich das Verhältnis gewahrt bleibt, erhielten andere Parteien gleichzeitig Ausgleichsmandate. Die Folge nach der Bundestagswahl von 2021: Der Bundestag wuchs von der regulären Zahl von 598 Volksvertretern auf 733 Abgeordnete.

Mit dieser Abgeordnetenzahl sei der Bundestag das größte Parlament in den westlichen Demokratien, sagt der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun. «Das sind zu viele.» Es verschlinge Ressourcen, schränke die Arbeitsfähigkeit ein, verlängere Abstimmungsprozesse. «Je mehr Leute beteiligt sind, desto schwieriger wird oftmals der Entscheidungsprozess.» Insofern sei die Verkleinerung des Bundestags auf 630 Abgeordnete grundsätzlich richtig. 

Die Reform bringt mit sich, dass nun Wahlkreissieger mit eher knappen Siegen den Einzug in das Parlament verpassen können. Es könnte beispielsweise so sein, dass eine Partei alle 15 Wahlkreise im Land gewinnt, ihr nach dem Zweitstimmenergebnis aber nur zwölf zustehen. Dann würden Wahlkreissieger mit eher schwächeren Ergebnissen außen vor bleiben. In Rheinland-Pfalz fürchtet vor allem die in den Umfragen vorn liegende CDU, dass Kandidaten trotz eines Sieges bei den Erststimmen am Ende leer ausgehen. 

Städte im Fokus

Generalsekretär Johannes Steiniger sagt, das Thema dürfte außerdem auf die CDU in Baden-Württemberg oder im Saarland sowie die AfD im Osten zukommen. Es könne schon genügen, dass in einem Wahlkreis die Freien Wähler stark verwurzelt seien oder viele Direktkandidaten antreten, sodass das Rennen bei den Erststimmen vergleichsweise knapp ausgehe. Er erwartet in Städten eher knappere Ausgänge bei den Erststimmen, wegen der heterogenen Bevölkerungsstruktur.

Auch der Politikwissenschaftler Jun sagt, in städtischen Wahlkreisen sei die Gefahr größer, selbst bei einem Wahlkreissieg nicht im neuen Bundestag zu landen, weil sich hier häufiger als in ländlichen Regionen die Stimmen stärker verteilten, etwa wegen erfolgreicher Kandidaten der Grünen. Ihm zufolge müssen bei der CDU eher Kandidaten im Süden bangen, bei der SPD eher im Norden - dort also, wo die jeweilige Partei eher stark sei, voraussichtlich mehr Wahlkreise gewinne, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil zustünden. Es könnten Mandate vor allem in den Ländern verloren gehen, wo sie Hochburgen hätten.

Steiniger: Erst- und Zweistimme für Wahlkreiskandidaten wichtig

Für Steiniger ist Folge der Wahlrechtsreform, dass Wahlkreiskandidaten viel mehr als früher darauf aus sein müssten, die Erst- und Zweistimme der Wählerinnen und Wähler zu bekommen. Das werde voraussichtlich auch auf Plakaten oder Flyern offensiv so formuliert werden. Das von einigen Wählern gern angewandte Stimmen-Splitting, wenn etwa mit der ersten Stimme die CDU und mit der zweiten die FDP für eine schwarz-gelbe Koalition gewählt werde, sei nach der Reform geradezu riskant. Am Ende könnte die FDP noch bereuen, die Reform mit durchgedrückt zu haben, sagt Steiniger. 

Wie viele CDU-Wahlkreissieger aus Rheinland-Pfalz zittern müssen, vermag Steiniger nicht zu sagen. Das hänge von zu vielen Faktoren ab, ob etwa manche Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitere oder nicht, an der Wahlbeteiligung und an örtlichen oder regionalen Besonderheiten. Wenn am Ende ein Sieger eines Wahlkreises nicht in den Bundestag einziehe, führe das aber den Wählerwillen ad absurdum. Auf mittlere Sicht könne dies die Distanz zwischen Bürgern und Abgeordneten vergrößern und sich problematisch auf die Einstellung von Bürgern gegenüber dem politischen System auswirken. 

Politikwissenschaftler Jun hätte anderes System bevorzugt

Jun sagt: «Man kann das kritisch betrachten, dass möglicherweise nicht mehr alle Wahlkreissieger im Bundestag vertreten sein werden.» Die Tatsache, dass die Wahlkreissieger mit den schwächsten Ergebnissen gemessen an den Anteilen bei den Erststimmen kein Mandat bekämen, könne allerdings grundsätzlich alle Parteien treffen, die in einem Bundesland mehr Wahlkreise gewinnen als ihr Zweitstimmenanteil es dort vorsehe. 

Der Politikwissenschaftler hätte ein anderes System bevorzugt. Mit der Einführung von Bundes- statt Landeslisten würden Ausgleichs- und Überhangmandate nur noch im Falle regionaler Parteien wie der CSU anfallen, sagt er, während alle 299 Wahlkreissieger definitiv in den Bundestag kämen und der Rest der Parlamentsplätze über die Listen vergeben würde. Föderalen Ungleichgewichten innerhalb der Parteien zuungunsten der Repräsentation kleinerer Länder könnte man durch entgegenwirkende Regelungen begrenzen. 

Letztlich kam es anders, entsprechend werden nach der Wahl am 23. Februar 2025 nun die Mandate vergeben. Albert Ingold, Professor für Öffentliches Recht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, sagt, in verfassungsrechtlicher Hinsicht sei das Thema auserzählt, es handele sich um politische Bewertungen.

Die fällt bei den Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz anders aus als bei der Union. «Die Wahlrechtsreform wird zum aktuellen Zeitpunkt innerhalb der SPD Rheinland-Pfalz nicht diskutiert», teilt der Landesverband mit. «Für uns ist klar, dass wir diesen Bundestagswahlkampf mit voller Kraft und Zuversicht bestreiten.» Jegliche Reform bringe Veränderungen mit sich. «Wir halten die Wahlrechtsreform für ausgewogen und wir begrüßen das Ziel, die Arbeitsweise des Deutschen Bundestags effizienter und einfacher zu machen.»

Bildunterschrift: Generalsekretär der CDU Rheinland-Pfalz Johannes Steiniger, Foto: Henning Schacht

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Datum: 04.12.2024
Rubrik: Politik
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