
Vermischtes
Sollten Obdachlose ihre Unterkünfte mitbezahlen?
Mainz (dpa/lrs) – Mainz hat sie beschlossen, andere Kommunen denken über Preiserhöhungen nach: Sollten obdachlose Menschen sich an den Kosten ihrer Unterbringung beteiligen? In der Landeshauptstadt lautet die Antwort darauf ab dem 1. Juli: Ja.
Laut der geänderten Gebührensatzung, die kürzlich im Stadtrat beschlossen wurde, fallen in städtischen Unterkünften je nach Ausstattung dann zwischen 1,60 Euro und 11,20 Euro pro Nacht an. Damit will die Stadt notwendige Mehreinnahmen generieren.
«Die Nutzung von einzelnen Einrichtungen komplett kostenfrei anzubieten, während in anderen Einrichtungen Gebühren zu zahlen sind, kann dazu führen, dass der Andrang auf die kostenfreien Einrichtungen steigt und die anderen Einrichtungen weniger genutzt werden», teilte die Stadt Mainz auf Anfrage mit. In Einrichtungen von nicht-städtischen Trägern müssten obdachlose Menschen demnach schon zuvor etwas bezahlen.
Stadt: Menschen werden nicht abgewiesen
Bereits vor der Abstimmung sorgte die geplante Satzung für viel Kritik. Dass Obdachlose aus eigener Tasche für eine Notunterkunft zahlen sollen, sei «skrupellos», kritisierte die Mainzer Linke. Es brauche ein überarbeitetes Konzept, forderten Wohlfahrtsverbände. Die Befürchtung der Kritiker: Wer die Gebühren nicht aufbringen kann, wird an der Tür abgewiesen.
Die Stadt widerspricht dem: «Menschen, die nicht in der Lage sind die Gebühr zu bezahlen, werden nicht abgewiesen», teilte sie mit. «Entscheidungen über die Zahlungsfähigkeit werden im Einzelfall getroffen.» Grundsätzlich bestehe bei obdachlosen Menschen ein Anspruch auf Sozialleistungen. «Für den Fall, dass eine Übernachtung in einer Obdachloseneinrichtung erfolgt, können Kosten der Unterkunft beim Jobcenter bzw. Amt für soziale Leistungen geltend gemacht werden», schrieb die Stadt.
In Mainz gibt es laut Beschlussvorlage zurzeit vier Unterkünfte für obdachlose Menschen mit insgesamt 112 Plätzen. Darunter seien Notschlafplätze bis hin zu mittelfristigen Unterbringungen.
«Abschreckende Wirkung» von Gebühren
Nele Wilk vom Mainzer Verein Armut und Gesundheit in Deutschland sieht die beschlossene Gebührensatzung kritisch. Zwar könnten Obdachlose mit Bürgergeldanspruch die Kosten über das Jobcenter abrechnen, doch viele Menschen, etwa zugewanderte EU-Bürgerinnen und -Bürger ohne Leistungsanspruch, fielen durch das Raster, sagt Wilk.
«Gerade für diese Menschen, die ohnehin gesundheitlich angeschlagen sind und oft keinerlei Einkommen haben, können selbst geringe Beträge abschreckend wirken», warnt sie. Die Gefahr bestehe, dass Betroffene aus Angst vor den Gebühren auf einen Platz in der Notunterkunft verzichten und weiter auf der Straße bleiben.
Wie sieht es in anderen großen Städten im Land aus?
In Ludwigshafen sind Notübernachtungsplätze für die Menschen kostenlos, wie eine Sprecherin mitteilte. «Die Stadtverwaltung selbst bietet in den Wintermonaten die sogenannte Kältewohnung mit vier Übernachtungsplätzen an, die kostenfrei und anonym genutzt werden kann», hieß es. «Außerdem hält die Stadt Ludwigshafen für obdachlose Menschen, die Drogen konsumieren, elf Übernachtungsplätze im "sleep inn" vor, diese sind ebenso kostenfrei nutzbar.»
Für Gebäude, in die unfreiwillig obdachlos gewordene Menschen eingewiesen werden, fallen hingegen Gebühren an, wie die Sprecherin mitteilte. Diese würden in der Regel vom Jobcenter oder Sozialamt übernommen.
Auch in Koblenz werden Obdachlose an den Kosten beteiligt – aktuell mit 7,69 Euro pro Quadratmeter und Monat für einen alleine belegten Raum. «Derzeit befindet sich die Satzung in der Überarbeitung», teilte ein Sprecher mit. «Es wird geprüft, inwieweit eine Anpassung der Gebühren notwendig ist, da es sich bei der Unterkunft um ein von uns angemietetes Objekt handelt und die Mietkosten in der Vergangenheit entsprechend gestiegen sind.»
Blick auf die Preisentwicklung
Kaiserslautern bietet Menschen, die etwa nach einer Zwangsräumung oder Bränden von Obdachlosigkeit bedroht sind und sich nicht selbst helfen können, eine städtische Übergangswohnung an. «Erfolgt eine Einweisung, werden Nutzungsgebühren gemäß Obdachlosenunterkunftssatzung und dazugehöriger Gebührensatzung erhoben», teilte ein Sprecher mit. Diese dienten der anteiligen Finanzierung der Übergangswohnungen.
Kann der Betroffene die Gebühren nicht zahlen, übernehme in der Regel das Jobcenter oder das Referat Soziales (Grundsicherung) die Kosten der Unterkunft. Auch in Kaiserslautern geht der Blick auf die Preise: «Es ist beabsichtigt, die Gebührensatzung in den nächsten Wochen der aktuellen Preisentwicklung anzupassen, wobei natürlich die Angemessenheitsgrenzen der Sozialhilfeträger beachtet werden.»
Es gibt in Kaiserslautern nach Angaben der Stadt auch Unterbringungsmöglichkeiten der Caritas. In einer Einrichtung etwa sei die Übernachtung bis zu fünf Tage im Monat kostenfrei, bei Kälte auch länger. Die Kosten würden von der Stadt «vollumfänglich» übernommen. Bei längeren Aufenthalten übernehme das Jobcenter die Kosten für bis zu drei Monate, «wenn die Person erklärt, in der Stadt sesshaft werden zu wollen».
In Hessen bereits Praxis
In Nachbarland Hessen ist die Erhebung von Gebühren für die Unterbringung in Obdachlosenunterkünften in vielen Kommunen gängige Praxis – auch im ländlichen Raum. Die anfallenden Gebühren werden in der Regel über die Kosten der Unterkunft vom Jobcenter erstattet, sofern die Betroffenen Bürgergeld beantragt haben und anspruchsberechtigt sind.
«Es ist nicht so, dass wir in Hessen Unterkünfte haben, wo Betroffene aus der eigenen Hosentasche bezahlen müssen», erklärt Katharina Alborea, Referentin für Wohnungsnotfallhilfe bei der Diakonie Hessen. «Im Endeffekt muss Rheinland-Pfalz wie auch Mainz dafür sorgen, dass es genug bezahlbaren Wohnraum gibt – dann entsteht das Problem gar nicht», argumentiert die Referentin.
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