Gedenken an Ahrflut: «Dieses Tal ist immer noch verletzt»

 

Gedenken an Ahrflut: «Dieses Tal ist immer noch verletzt»

Häuser werden aufgebaut, Straßen repariert und Läden eröffnet. Doch bei vielen Menschen im Ahrtal sind die seelischen Wunden noch lange nicht geheilt. Zum Gedenken kommen sie zusammen.

Bad Neuenahr-Ahrweiler (dpa/lrs) -

Für manche ist es der Regen, für manche der Geruch nach Schlamm und Öl und für andere sind es bestimmte Orte in der Stadt. Die Flutkatastrophe im Ahrtal nach vier Jahren immer noch präsent.

«Es kommt immer wieder hoch», sagt Gerlinde Schüller im Quartierstreff der Awo am vierten Jahrestag der Flut, bei der allein im Ahrtal 135 Menschen starben. «Es kommen auch die Geschichten hoch, die mir erzählt wurden von anderen.» Eine Frau habe ihr etwa erzählt, dass sie tote Menschen habe vorbeischwimmen sehen, eine andere, dass die Mutter ertrunken sei. «Ich find's dramatisch», sagt sie. «Es berührt mich unglaublich.»

Der Ministerpräsident hat sich mit den Menschen im Quartierstreff am Jahrestag unterhalten.

Der Ministerpräsident hat sich mit den Menschen im Quartierstreff am Jahrestag unterhalten. | Thomas Frey/dpa

Sie selbst sei bei der Katastrophe im Urlaub gewesen, habe den dann aber abgebrochen. Daher mache ihr der Regen auch nichts aus, der an diesem Jahrestag immer wieder über Bad Neuenahr-Ahrweiler zieht. «Ich höre dann nur von anderen: Da kommt wieder was hoch», sagt die 67-Jährige. Im Quartierstreff der Awo sind sie an diesem Jahrestag zusammengekommen, so wie an vielen Orten im Ahrtal. Sie alle hier wissen, wo sie an diesem Tag vor vier Jahren waren.

 «Wäre ich fünf Minuten später gewesen, wäre ich ertrunken»

Inge Stelzenmüller wohnt seit mehr als 20 Jahren in Bad Neuenahr-Ahrweiler. «Ich habe die Flutnacht erlebt», sagt sie. Sie sei aber sicher in der dritten Etage gewesen. «Und dann sah ich alles versinken. Das war grauenvoll das Ganze», erinnert sie sich. «Ich bin kurz davor noch in der Tiefgarage gewesen», sagt sie. Da habe sie etwas aus dem Auto geholt und es sei noch nichts gewesen. «Wäre ich fünf Minuten später gewesen, dann wäre ich ertrunken.»

Ministerpräsident Alexander Schweitzer besuchte den Treff am Jahrestag und sprach dort mit den Menschen. «Ich würde gerne tatsächlich ganz, ganz wenig sagen an einem solchen Tag», sagte er zu Beginn des Treffens. «Es ist erneut ein Jahrestag dieser furchtbaren Flutkatastrophe, die sich wie eine Narbe in die neuere Geschichte des gesamten Landes eingeprägt hat.» Es sei gut, dass neue Orte der Begegnung geschaffen würden.

Der Wiederaufbau im Ahrtal wird noch Jahre dauern.

Der Wiederaufbau im Ahrtal wird noch Jahre dauern. | Mona Wenisch/dpa

Flut hat tiefe Spuren hinterlassen

Die Flutkatastrophe hat eine ganze Region, ein ganzes Land hat verändert – das ist immer wieder zu hören. Die Kreisverwaltung Ahrweiler schreibt: «Die Flut vom 14. auf den 15. Juli 2021 hat tiefe Spuren hinterlassen – in der Landschaft, in den Orten, in den Herzen der Menschen.» An diesem Jahrestag denke man an die Opfer, Angehörigen und Betroffenen. «Wir blicken auch auf das, was bereits geleistet wurde, auf den Mut und die Stärke, mit der die Menschen im Ahrtal dem Unvorstellbaren entgegengetreten sind und auf den Zusammenhalt, mit dem seitdem Schritt für Schritt wiederaufgebaut wird.»

Bei der Flutkatastrophe starben 136 Menschen in Rheinland-Pfalz – 135 im Ahrtal und ein Mensch im Raum Trier. Ein weiterer Mensch gilt bis heute als vermisst. In Nordrhein-Westfalen kamen 49 Menschen ums Leben. Die Infrastruktur einer ganzen Region wurde zerstört – Zehntausende Häuser weggerissen, Schulen beschädigt, Brücken zerstört, Straßen überspült.

«Dieses Tal ist immer noch verletzt und verwundet»

Bei einem ökumenischen Gedenkgottesdienst im Kurpark der Kreisstadt kamen die Menschen am Abend zusammen. Bad Neuenahr-Ahrweilers Bürgermeister Guido Orthen (CDU) sagte vor dem Beginn, die Flut und die Erlebnisse seien weiterhin präsent und beim Wiederaufbau sei noch viel zu bewältigen.

«Und deshalb ist auch ein solcher Tag so wichtig, noch mal gemeinsam zurückblicken zu können, aber auch gemeinsam Hoffnung teilen zu können», sagte er. «Wir sind bei weitem nicht aus dem Gröbsten raus. Dieses Tal ist immer noch verletzt und verwundet und wir bauen gerade erst unser Resilienz wieder auf.»

«Da hab ich gedacht, ich bin im Krieg»

Ruth Adenäuer aus Ahrweiler ist mit ihrem Ehemann Wilhelm zum vierten Mal zum Gedenken in den Kurpark gekommen. Wie sie die Flutnacht in Erinnerung hat? «Schlimm», sagt sie. Sie seien bei der Tochter in der Wohnung gewesen. «Da mussten wir auf die zweite Etage flüchten, weil das Wasser immer höher, immer höher kam», erinnert sie sich. «Da sind wir am nächsten Morgen erst von der Bundeswehr, von der Feuerwehr evakuiert worden. Es war schon Mittag.» Die Retter seien mit einem großen Amphibienfahrzeug gekommen.

Ruth Adenäuer hat schlimme Erinnerungen an die Flutnacht.

Ruth Adenäuer hat schlimme Erinnerungen an die Flutnacht. | Mona Wenisch/dpa

Doch nach Hause kamen die Adenäuers nicht direkt. Alle Straßen seien abgesperrt gewesen. Als sie dann endlich in Ahrweiler waren, war nichts mehr wie vorher. «Da hab ich gedacht, ich bin im Krieg», sagt sie. Sie hätte nie gedacht, dass das Wasser bis zu ihnen komme. «Und dann war Horror.» Im Haus habe das Wasser im Erdgeschoss 1,80 Meter hoch gestanden.

«Wir kommen immer wieder», sagt sie zum Gedenken, «weil die Erinnerung bleibt.» Es helfe, mit anderen zusammen zu sein. «Dann denkt man sich, die haben dasselbe erlebt, die müssen es auch irgendwie verarbeiten wie wir auch. Es bleibt einem nichts anderes über. Aber es macht Fortschritte, mit dem Verarbeiten.»

dpa

Bild: Alle Plätze waren voll beim Gedenken im Ahrtal. | Mona Wenisch/dpa

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Datum: 14.07.2025
Rubrik: Lokales
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