«Misstrauen in homöopathischen Dosen abbauen» helfen

 

«Misstrauen in homöopathischen Dosen abbauen» helfen

Europaabgeordneter, Weinkönigin, Musiker: Etwa 10.000 Sinti und Roma leben in Rheinland-Pfalz. Viele von ihnen kennen Diskriminierung nur zu gut. Was kann da der neue Landesbeauftragte Hartmann tun?

Mainz (dpa/lrs) -

«Wechselseitig mehr Verständnis erreichen» - das ist Michael Hartmanns wichtigstes Ziel. Der Leiter des Referats Europa, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und nationale Minderheiten im Innenministerium ist der erste Antiziganismusbeauftragte in Rheinland-Pfalz. Der Posten ist Teil des neuen Landesgesetzes zum Schutz und der gleichberechtigten Teilhabe von Sinti und Roma.

Seit mehr als 600 Jahren lebten Sinti und Roma in Deutschland und Rheinland-Pfalz «mit einer oftmals leidvollen Geschichte», sagte Hartmann im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. «Sinti und Roma ist ein Sammelbegriff geworden, um überhaupt eine Begrifflichkeit für diese vielfältige Gruppe zu finden.» 

Hartmann warnt vor schnellen Zuschreibungen

«Sie sind so wenig homogen wie Pfälzer oder Rheinländer. Sie sind eine sehr unterschiedliche Gruppe», betonte der 62-Jährige und warnt vor schnellen Zuschreibungen. Auch ihre Sprache - das Romanes, eine hauptsächlich mündliche Sprache - habe sich in ganz unterschiedliche Dialekte aufgeteilt. 

Auch die Gruppe derer, die von Antiziganismus betroffen ist, sei sehr heterogen, sagte Jacques Delfeld der dpa. Er ist Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Sinti und Roma in Rheinland-Pfalz. «Sinti und Roma sind die zahlenmäßig wahrscheinlich am stärksten von Antiziganismus betroffene Gruppe.» Betroffen seien aber auch die marginalisierte Minderheit der Jenischen oder Berufsgruppen, zum Beispiel Schausteller. 

Verbandsgeschäftsführer hofft auf mehr Problembewusstsein

«Und es betrifft auch – und das ist auch in Rheinland-Pfalz leider gängig - Menschen mit ost- oder südosteuropäischen Migrationsuntergrund – das sind alles unter dem Stigma als sogenannte Zigeuner gelesene Menschen», sagte Delfeld. Seine Hoffnung sei, dass in Zukunft das Problem des Antiziganismus und bis heute wirkende Vorurteile in der Gesellschaft besser verstanden werden und ein Problembewusstsein dafür entstehe, «ähnlich wie beim Antisemitismus». 

Wie viele Sinti und Roma in Rheinland-Pfalz derzeit leben, kann nur geschätzt werden. Hartmann geht von mindestens 10.000 aus. Darunter sind Angehörige der Musikerfamilie Reinhard, die ehemalige Deutsche Weinkönigin Angelina und der Grünen-Politiker Romeo Franz. 

Der Wunsch nach einem Antiziganismusbeauftragten sei aus den Reihen der Sinti und Roma gekommen, sagte Hartmann. «Es war nicht Teil meiner Lebensplanung und ich weiß auch sehr wohl, dass das sehr anstrengend sein kann, auf was ich mich da einlasse - und dennoch mache ich es wirklich gerne.». 

Monitoring von Fällen geplant

Hartmann hat zwei Jahre lang maßgeblich mitverhandelt, damit aus der Rahmenvereinbarung mit den Sinti und Roma von 2005 ein Vertrag und Gesetz wird - mit einem weisungsunabhängigen Antiziganismusbeauftragten und einer relativ weitreichenden Finanzautonomie für die Verbände, wie Hartmann sagt. 

Delfeld vom Verband Deutscher Sinti und Roma geht es vor allem um zwei Dinge: Bekämpfung und Überwindung von Antiziganismus sowie die Förderung und Stärkung der Teilhabe von Sinti und Roma. Für das erste Ziel sei das vereinbarte Monitoring von Fällen von Antiziganismus von großer Bedeutung – «damit man überhaupt weiß, über was man sich da unterhält», wie er sagt.

Betroffene könnten zunächst zwei Jahre lang Fälle, in denen sie sich benachteiligt fühlten, melden – sei es bei der Wohnungs- oder Jobsuche, in der Schule oder bei Bildung ganz allgemein. Es gehe vor allem um Vorfälle unterhalb der strafrechtlichen Schwelle. Die müssten sich immer im Einzelfall angeschaut werden, denn es sei häufig eine komplizierte Gemengelage.

Große Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen 

Einerseits verpackten rechtsorientierte Kräfte antiziganistische Stereotypen oft geschickt, erklärte Delfeld. Gleichzeitig stehe in der Gruppe der Sinti und Roma beim Gefühl einer Benachteiligung schnell der Begriff «Nazi» im Raum. Das sei oft Ergebnis einer gewissen Hilflosigkeit oder eines Ohnmachtsgefühls. Hier könne ein neutraler Beauftragter wie Hartmann ein wichtiger Mittler sein.

Delfeld zufolge gibt es unter Betroffenen bis heute eine große Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen. Das sei vor dem Hintergrund der Geschichte zu sehen. Zahlreiche Menschen seien traumatisiert nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgekommen, seien mit ihren Erlebnissen allein gelassen worden, hätten in der Bundesrepublik weiter Ausgrenzung erlebt. «Was dann passiert, ist ein Selbstschutzmechanismus, dass diese Communities sich zurückziehen.»

Hartmann hält das für nachvollziehbar. «Eines meiner Ziele wird es sein, dieses Misstrauen in homöopathischen Dosen abbauen zu helfen», sagte er. Als Opfergruppe seien Sinti und Roma zunächst nicht anerkannt worden. Rückkehrern seien nach dem Ende der NS-Diktatur nicht nur Mittel verweigert worden, «sondern zum Teil auch ein Pass, zum Teil ihre Häuser».

Hartmann: «Bin nicht für die Verbände da»

Hartmann nennt die Familie Winterstein aus der Pfalz als Beispiel. «Die Überlebenden kommen zurück in ihr Dorf, wollen wieder in ihr Haus. Das ist aber vergeben und der Bürgermeister weist ihnen einen Lagerplatz am Ortsrand zu», berichtet der Landesbeauftragte. 

Bei der historischen Aufarbeitung soll Hartmann zufolge auch der Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Mainzer Universität einen Beitrag mit Forschung und Lehre leisten. Diese Aufarbeitung müsse selbstverständlich Hand in Hand mit den Sinti und Roma gehen. 

Mit Blick auf das Hier und Jetzt sagte Hartmann: «Ich bin nicht für die Verbände da, sondern für die von Antiziganismus bedrohten Menschen.» Die Community brauche einen Ansprechpartner. 

Hetze und Attacken gegen diese Minderheit haben in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Bei der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus wurden 2024 laut Innenministerium 52 Vorfälle erfasst. Im Jahr zuvor waren 27, 2022 elf Fälle registriert worden.

dpa

Bild: Der neue Antiziganismusbeauftragte in Rheinland-Pfalz will Vorbehalte abbauen helfen. | Ira Schaible/dpa

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Datum: 15.07.2025
Rubrik: Lokales
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