
Betriebsräte fordern Perspektive für Autoindustrie
Das Saarland ist stark vom Wandel in der Autobranche betroffen. Für die Umstellung zum elektrischen Fahren brauche es mehr Zeit, heißt es vor Ort. Die Sorgen vor einem weiteren Stellenabbau sind groß.
Saarbrücken (dpa/lrs) -
Betriebsräte aus der Automobil- und Zuliefererindustrie sowie führende Gewerkschafter der IG Metall aus dem Saarland schlagen Alarm. «Die saarländische Automobilindustrie steht an einem Scheideweg. Wenn jetzt nicht entschlossen gehandelt wird, verlieren wir nicht nur Produktionsstandorte, sondern auch das Rückgrat unserer regionalen Wirtschaft», sagte der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Neunkirchen, Jörg Caspar, anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz in Saarbrücken.
Auch nach dem «Autogipfel» seien die Mitarbeiter des Autozulieferers ZF sehr besorgt, sagte der Betriebsratsvorsitzende Mario Kläs der Deutschen Presse-Agentur. Sie hätten mit schnellen Lösungen zugunsten von alternativen Antriebstechnologien zur reinen E-Mobilität gerechnet, speziell, wie es mit der Hybridtechnologie weitergehe. «Die Sorge, dass uns die Politik im Stich lässt, und an ihrem harten Verbrenner-Aus ab 2035 festhält, wächst bei unseren Beschäftigten.»
Auch beim Zulieferer LMS in Sulzbach ist die Unsicherheit groß: «Viele Kollegen trauen sich nicht mehr, ein neues Auto zu kaufen, weil sie nicht wissen, wohin die Entwicklung führt», sagte Gesamtbetriebsratsvorsitzender Uwe Deutsch. «Im Moment könnten wir dieses und das nächste Jahr eigentlich gut überstehen - aber immer unter der Voraussetzung, dass die Automobilindustrie bleibt, wie sie ist. Wenn sie sich nochmal verschlechtert, sieht es auch für uns schlecht aus.»
Lage in Betrieben «enorm kritisch»
Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Saarbrücken, Patrick Selzer, bezeichnete die aktuelle Situation der Betriebe als «enorm kritisch». Die Lage spitze sich rasant zu, «wir müssen derzeit davon ausgehen, dass uns Betriebe in 2025, spätestens aber bis Ende 2026 komplett wegbrechen werden.»
Das Saarland ist nach Angaben der IG Metall bundesweit am stärksten vom automobilen Wandel betroffen: Rund acht Prozent aller Beschäftigten arbeiten laut IW-Studie in der produktionsnahen Automobilwirtschaft – Spitzenwert in Deutschland. Seit 2014 sei die industrielle Wertschöpfung um über 20 Prozent eingebrochen, mehr als 16.000 Industriejobs gingen verloren.
Hoher Anteil an Zulieferbetrieben
Mit dem Ende der Ford-Focus-Produktion in Saarlouis und dem Stellenabbau bei ZF, Bosch und Schaeffler drohten weitere Einschnitte. «Besonders betroffen sind Zulieferbetriebe mit hoher Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor – mit rund 4,8 Prozent aller Beschäftigten, der höchste Anteil bundesweit», heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der vier IG-Metall-Geschäftsstellen.
Gleichzeitig hinke das Saarland beim Ausbau von Zukunftsfeldern wie Elektromobilität und Batteriezellfertigung hinterher – bedingt durch politische Unklarheiten und den Wegfall von Förderungen wie der Umweltprämie.
«Wir brauchen einen Pakt von Arbeitgebern, Politik und Arbeitnehmerschaft. Wenn wir Hand in Hand arbeiten, gibt es gute Chancen, dass wir die Krise meistern», sagte Selzer der dpa.

Der Betriebsratsvorsitzende von ZF, Mario Kläs (r.) und der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Saarbrücken, Patrick Selzer - hier mit Saar-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) vor einem Jahr - kämpfen um Arbeitsplätze in der Zuliefererindustrie. (Archivfoto) | Katja Sponholz/dpa
Von der Bundespolitik erwarten die Gewerkschafter ein klares Bekenntnis zur Automobil- und Zuliefererindustrie sowie eine ökologisch-soziale Industriepolitik, die Beschäftigung sichere. «Wir brauchen Stabilität in den Betrieben, Planungssicherheit und gute Rahmenbedingungen durch Investitionen in zukunftsfähige Technologien – etwa in erneuerbare Energien, Ladeinfrastruktur und bezahlbare Mobilität», sagte Peter Vollmar, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Homburg-Saarpfalz.
Übergangslösungen als Brücken in die Zukunft
Nach Ansicht der Betriebsräte und IG Metaller benötige es vor allem mehr Zeit, damit die Marktbedingungen in Deutschland und Europa hin zum rein elektrischen Fahren geschaffen werden können. «Die Politik muss sich in Brüssel für eine Technologieoffenheit starkmachen, und zwar dahingehend, dass auch Hybride, Range Extender oder synthetische Kraftstoffe nach 2035 zulässig sind», unterstrich Kläs.
«Range Extender» sind kleine Verbrennungsmotoren zur Verlängerung der Reichweite von Elektroautos. Solche Übergangslösungen seien nach Ansicht von ZF-Betriebsrat Damhat Sisamci «keine Rückschritte, sondern Brücken in die neue Zeit: Brücken, die Arbeitsplätze sichern und CO2 senken.»
Sollte die Politik keinen Kurswechsel vollziehen, werde sich dies nach Ansicht der Arbeitnehmervertreter stark negativ auf den Industriestandort Deutschland auswirken und man würde vor allem den Chinesen mit ihren subventionierten Fahrzeugen den deutschen Markt überlassen. Laut Kläs fürchten viele Kollegen aber auch, dass es bei einem weiteren massiven Arbeitsplatzabbau «zu sozialen Unruhen kommen wird und sich die politische Mitte weiter nach rechts schieben würde».
dpa
Bild: Die Mobilitätswende hin zum elektrischen Fahren betrifft die Industrie im Saarland im besonderen Maße. (Symbolbild) | Julian Stratenschulte/dpa
Berichterstattung regional und aktuell aus Koblenz und der Region Mittelrhein.




















