Experte sieht kleine Kommunen als Vorteil für die Wärmewende

«Immer wenn es die Kommune möchte, entstehen solche Best-Practice-Beispiele»

Experte sieht kleine Kommunen als Vorteil für die Wärmewende

Mainz (dpa/lrs) - Kalte Wärmenetze im Ahrtal, eine Strom-Flatrate in Schifferstadt oder Biogas-Energie-Dörfer im Hunsrück: Der Mainzer Professor für nachhaltige Gebäudeenergiesysteme Thomas Giel nennt drei Vorzeigebeispiele aus Rheinland-Pfalz für die Wärmewende. «Immer wenn es die Kommune möchte, entstehen solche Best-Practice-Beispiele», beschreibt der Fachmann seine Erfahrung. «Mit den kleinteiligen Strukturen ist Rheinland-Pfalz prädestiniert dafür, sich untereinander zu helfen.» 

Die Rheinland-Pfälzer bräuchten nicht bis Mitte 2028 auf die Planung ihrer Kommune warten, sondern könnten Ideen entwickeln und selbst in die Hand nehmen, rät Giel. «Wenn das attraktiv ist, braucht es auch keinen Anschlusszwang.» 

Die Möglichkeit der Kommunen, vom Anschluss- und Benutzungszwang Gebrauch zu machen, hält auch der Energieexperte der Verbraucherzentrale, Hans Weinreuter, «nicht für klug». Wenn die Menschen «Zwang»« hörten, «gehen überall die Alarmlampen an». Attraktive Angebote wie etwa im Hunsrück seien der richtige Weg. Die wichtigsten Fragen und Antworten. 

Wie ist die gesetzliche Lage in Rheinland-Pfalz?

Klimaneutralität in allen Wärmenetzen muss dem Bundesgesetz zufolge bis Ende 2044 erreicht sein. Der dafür notwendige Gesetzentwurf der Landesregierung wird voraussichtlich im November im Plenum diskutiert. 

Die Pflicht zur Wärmeplanung soll mit dem Landesgesetz auf rund 170 kommunale Stellen übertragen werden. Für die rund 70 Prozent der Kommunen mit weniger als 1000 Einwohnern sollen die Verbandsgemeinden zuständig sein. Der Gesetzentwurf sieht auch sogenannte Konvoi-Verfahren vor, bei denen sich Kommunen bei der Planung zusammenschließen können. 

Die großen Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, von denen es in Rheinland-Pfalz nur fünf gibt, müssen laut Bundesgesetz spätestens bis Ende Juni 2026 eine Wärmeplanung erstellen. Die kleineren Städte und Kommunen haben bis Mitte 2028 dafür Zeit. 

Spätestens dann sollen die Bürger wissen, ob ein Nahwärmenetz vor ihrer Haustür möglich ist oder nicht. «Das ist dann aber nur eine Vorplanung», ob und wann ein darin angedachtes Wärmenetz Wirklichkeit werde, müsse dann noch abschließend entschieden werden, gibt Weinreuter zu Bedenken. 

Was hält die Verbraucherzentrale vom Gesetzentwurf?

Der Gesetzentwurf ist derzeit in der Verbände-Anhörung. Das Konvoi-Verfahren und die Zuständigkeiten für kreisfreien und verbandsfreien Städte sowie die Verbandsgemeinden seien sinnvoll, sagt Weinreuter. 

Der Energieexperte hält aber eine landesweite Karte für notwendig, auf der alle Wärmenetze verzeichnet sind, inklusive der Preise. Also eine Art Vergleichsportal. 

Denn die vielen kleinen örtlichen oft von Bürger-Genossenschaften getragenen Netze im Vorzeigekreis Rhein-Hunsrück seien trotz geringerer Anschlussdichte günstiger als die Netze in größeren Städten. Analog zur Bundesnetzagentur müsse es auch eine bundesweite Preisaufsicht für Wärmenetze geben.

Was kostet ein Hausanschluss? «In dieser Frage herrscht die größte Intransparenz», kritisiert Weinreuter. Zumindest die Preise pro Meter als Orientierungsgröße müssten verpflichtend angegeben werden. «Es geht ja immerhin um ein paar Tausend Euro.» 

Wie sinnvoll sind Warm-, Fernwärme- und kalte Nahwärmenetze?

Nah- und Fernwärmenetze sind nach Einschätzung von Weinreuter nur bedingt eine Lösung. Sie machten im kleinteilig strukturierten Rheinland-Pfalz derzeit nur drei bis vier Prozent der Versorgung aus, «spielen also so gut wie keine Rolle». Wenn der Anteil bis 2030/35 auf zehn Prozent wachsen würde, sei das «wahrscheinlich viel».

Professor Giel ist nach eigenen Worten ein «Vordenker kalter Nahwärmenetze». Dafür könnten sich kleine Orte gut zusammenschließen. «Das verstehen immer mehr Kommunen.» Sie könnten Abwärme- oder Geothermieanlagen, Grubenwasser oder fließende Gewässer nutzen. Die dann eingesetzten Wärmepumpen bräuchten auch viel weniger Strom als Luft-Wasser-Wärmepumpen, vor allem im Winter. 

In Böhl-Iggelheim (Rhein-Pfalz-Kreis) etwa werde gerade überlegt, inwieweit Geothermie rund um eine Schule für so ein Netz genutzt werden könne. 

Was macht die Best-Practice-Beispiele aus?

Die Gemeinnützigkeit spiele als Grundgedanke eine entscheidende Rolle und schlage sich auch in den Preisen für die Bürger nieder, sagt Giel. Dabei seien gute sozialverträgliche Modelle möglich, die es auch älteren und sozial schlechter gestellte Menschen erlaubten, mitzumachen.

«Im Ahrtal haben wir echte Versorgungsgeschichte geschrieben», sagt Giel und spricht von einem Beispiel, das aus seiner Sicht Schule machen sollte. Die Verträge seien nicht an die Eigentümer angeschlossen, sondern an die Grundstücke gebunden. Sie zahlten erst 80 Euro pro Kilowattstunde Heizlast und nach zehn Jahren 15 Euro. «Das impliziert eine Wertsteigerung für das Gebäude.»

Im Hunsrück werde aus Biogas Strom und Wärme erzeugt. Ohne Anschlusszwang schlössen sich dort die Anrainer freiwillig an. «Aber es gibt nicht überall Biogas.»

In Schifferstadt im Rhein-Pfalz-Kreis sei schon 2015 ein Flatrate-Modell für Strom und Heizung im Zusammenhang mit kalter Nahwärme entwickelt und ein Jahr später umgesetzt worden. Der Preis für die Nutzung einer Wärmepumpe sei dabei mit den Stadtwerken auf zehn Jahre festgeschrieben worden, berichtet Giel. Für eine 140 Quadratmeter-Wohnung bezahlten die Menschen knapp 1600 Euro im Jahr - für Strom, Heizen, Kühlen, die Wärmepumpe. «Und müssen sich um nichts kümmern.» Die Stadtwerke hätten auch profitiert. 

Und welche Heizung sollen sich die Bürger jetzt zulegen? 

Weinreuter, sagt, noch immer schauten die Menschen zu sehr auf die Anfangsinvestitionen und zu wenig auf die Betriebskosten. Er unterscheidet zwischen drei Szenarien. 

1) Die Heizung ist kaputt oder fast kaputt. Dann sollten die Menschen besser nicht noch einmal in Öl oder Gas investieren. Oft sei eine Wärmepumpe die bessere Lösung. Dafür müsse am besten mithilfe von Experten das ganze Gebäude in den Blick genommen werden. Holzpellets könnten für Einfamilienhäuser eine gute Alternative sein, dafür brauche es aber auch ein Lager. Ein Wärmenetz könne auch eine Lösung sein. «Wenn es kommt.» 

«Pelletheizungen kosten mit den Umbauten doppelt so viel wie eine Wärmepumpe», gibt Giel zu Bedenken. Zudem funktionierten sie nicht so automatisch wie eine Gastherme. So müssten die Pellets beispielsweise zwei- bis dreimal im Jahr per Lastwagen angeliefert und die Asche müsse ausgetragen werden. 

2) Die Heizungsanlage ist noch keine zehn Jahre alt. «Dann gibt es keinen Handlungsbedarf.» Die Menschen sollten dann den Markt von Wärmepumpen beobachten und hoffen, dass diese billiger werden, denn in Deutschland seien sie teurer als in andern europäischen Ländern.

3) Wer eine Heizung hat, die älter als 20 Jahre ist, aber noch funktioniert, solle sich mit Hilfe von Fachberatern ein Konzept für sein Gebäude für die nächsten fünf Jahre erstellen. 

Sind für Wasserstoff ausgelegte Heizungen eine gute Alternative?

Energieexperte Weinreuter und Professor Giel sehen keine echte Alternative. Es werde künftig viel Wasserstoff gebraucht werden, erläutert Weinreuter. «Er wird knapp und teuer sein und bis er in den Heizungskeller einzieht, dauert es noch sehr lange.» 

Regionale News aus Koblenz

Datum: 13.08.2024
Rubrik: Vermischtes
Das könnte Sie auch interessieren
Livestream
Neu in unserer Mediathek

Wiesn TV

Wiesn TV
Folge: Endlich wieder Koblenzer Oktoberfest!

Sendung vom 16.09.2024

caspers mock - Der Rechtstipp

caspers mock - Der Rechtstipp
Folge: Die Bauhandwerkersicherheit

Sendung vom 16.09.2024

Film ab!

Film ab!
Folge: Beetlejuice - Beetlejuice - Beetlejuice

Sendung vom 13.09.2024