Zwei Räder, viele Gefühle

 

Zwei Räder, viele Gefühle

Rausch, Respekt und Risiko: Was Motorradfahren so faszinierend macht – und warum es auch Verantwortung braucht.

Mainz (dpa/lrs) -

Wenn Patrick Kuntz von seiner Harley erzählt, gerät er ins Schwärmen. «Ich hab mich schockverliebt», sagt er über seine erste große Maschine, eine «Fat Boy», gekauft im Herbst 2014 – bevor er überhaupt den Führerschein dafür hatte. «Manche Entscheidungen», sagt der 53-Jährige, «trifft man eben mit dem Herzen - nicht mit dem Kopf.»

Kuntz teilt seine Leidenschaft mit Tausenden Motorradfahrerinnen und -fahrern in Rheinland-Pfalz. Einzeln oder in Gruppen steuern sie in diesen Wochen die vielen Ausflugsziele im Bundesland an. In Foren schwärmen Biker aus ganz Deutschland von der Fahrt durch kurvenreiche Wälder auf guter Straße.

«Motorradparadies» Rheinland-Pfalz

Im bundesweiten Vergleich gibt es in Rheinland-Pfalz besonders viele Motorräder. Mit durchschnittlich 65 zweirädrigen Kfz auf 1.000 Einwohner liegt das Bundesland nach Bayern und Baden-Württemberg gemeinsam mit dem Saarland auf dem dritten Platz, wie das Kraftfahrt-Bundesamt jüngst mitteilte.

Kuntz ist planerischer Kopf der «Harley Davidson riding Santas», einer Truppe von Motorradfahrern, die seit 2015 am Nikolaustag Geld für ein Kinderhospiz sammeln. (Archivfoto)

Kuntz ist planerischer Kopf der «Harley Davidson riding Santas», einer Truppe von Motorradfahrern, die seit 2015 am Nikolaustag Geld für ein Kinderhospiz sammeln. (Archivfoto) | Uwe Anspach/dpa

Innerhalb von Rheinland-Pfalz herrschen starke Unterschiede: So ist die Dichte an Motorrädern besonders hoch in den Kreisen Südwestpfalz (85), Südliche Weinstraße (84) und Vulkaneifel (81). In Städten sind pro 1.000 Einwohner im Schnitt deutlich weniger Maschinen zugelassen: So stehen in Ludwigshafen 41, in Kaiserslautern 37 und in Mainz 35 in der Liste.

Kuntz ist über die Grenzen von Rheinland-Pfalz hinaus bekannt - als Gesicht und planerischer Kopf der «Harley Davidson riding Santas», einer Truppe von Motorradfahrern, die seit 2015 am Nikolaustag unter anderem Schulen und Altersheime besuchen und Geld für das Hospiz Sterntaler in Dudenhofen sammeln - im vergangenen Jahr 203.194,87 Euro. Am 23. August feiern die Santas offiziell ihr Zehnjähriges.

35 Tote im vergangenen Jahr

Mütze und Rauschebart sind aber nur eine Rolle. Kuntz ist kein Show-Biker. Für ihn ist das Fahren auf zwei Rädern Meditation mit Motor. «Wenn ich abends von der Arbeit heimkomme, sage ich zu meiner Frau: Ich muss noch kurz los. Einfach mal in den Sonnenuntergang fahren.» Mit seiner Harley cruist er dann durch das Weinbaugebiet, den Pfälzerwald, vorbei an Feldern, Reben, alten Alleen. «Die Strecke ist das Ziel», sagt er.

Doch: So romantisch das klingt – Kuntz weiß, wie schnell der Traum platzen kann. Mit 17 wurde er von einem Auto auf dem Weg zur Arbeit vom Motorrad geholt. Die Milz platzte, die Hand brach, das Leben hing für Stunden an Schläuchen. Die Folge: lange Pause, Angst, Trauma. Jahre später, im Urlaub auf Mallorca, wagte er sich wieder auf eine Maschine – zunächst mit 80 Kubik, dann die große Liebe auf zwei Rädern.

Im vergangenen Jahr verunglückten 2.691 Menschen mit dem Motorrad in Rheinland-Pfalz. 521 wurden schwer verletzt, 35 verloren ihr Leben. Die Statistik spricht eine klare Sprache – und sie widerspricht möglichen Vorstellungen vom Motorradfahren als ungehemmtem Freizeitspaß.

 

Jeckel saß schon als Kind auf dem - geparkten - Motorrad ihres Onkels. (Archivfoto)

Jeckel saß schon als Kind auf dem - geparkten - Motorrad ihres Onkels. (Archivfoto) | Arne Dedert/dpa

Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz (LKA) versucht, gegenzusteuern – mit Reaktionstests, Sicherheitstrainings und anschaulichen Vorführungen. Technik kontrollieren, Schutzkleidung tragen, defensiv fahren. Wer in Gruppen unterwegs ist, sollte versetzt fahren, heißt es, Abstand halten und riskante Manöver meiden. Denn viele Unfälle passieren nicht wegen böser Absicht, sondern wegen Selbstüberschätzung – und Unterschätzung der Maschine.

Das weiß auch Lisa-Marie Jeckel, Landtagsabgeordnete der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz. Als Kleinkind setzte sie ihr Onkel auf sein - geparktes - Motorrad. Später war sie regelmäßig mit ihm oder Freunden unterwegs. Bis die Politik und der Alltag andere Wege forderten. Ihre letzte Ausfahrt? Zehn Jahre her. Doch die Sehnsucht ist geblieben.

Werden Frauen anders gesehen?

«Für mich ist Motorradfahren vor allem Freiheit», sagt sie. «Dazu kommen Abenteuerlust, das Gefühl zu fliegen, Geschwindigkeit, Adrenalin – pure Energie. Es ist wie Reiten – kraftvoll, direkt, intensiv.» Auf die Frage, ob sie als Frau je anders wahrgenommen wurde auf dem Motorrad, winkt sie ab. «Ich war Teil der Gruppe. Da ging es nicht um Geschlechterrollen.»

Kuntz und Jeckel eint tiefer Respekt vor der Maschine. Beide haben den Rausch der Geschwindigkeit gespürt – und seine Schattenseiten verstanden. Kuntz hat die Folgen am eigenen Leib erlebt. Heute predigt er Verantwortung: Helm auf, Licht an, Abstand halten. Seine Touren sind nicht Wettkampf, sondern Rhythmus – ein Dialog mit Straße, Wind und Motor.

In Foren schwärmen Biker aus ganz Deutschland von der Fahrt durch kurvenreiche Wälder auf guter Straße in Rheinland-Pfalz. (Archivfoto)

In Foren schwärmen Biker aus ganz Deutschland von der Fahrt durch kurvenreiche Wälder auf guter Straße in Rheinland-Pfalz. (Archivfoto) | Thomas Frey/dpa

Das LKA betont, wie entscheidend die richtige Ausrüstung ist: Protektoren können Knochenbrüche verhindern, reflektierende Westen die Sichtbarkeit enorm erhöhen. Wer regelmäßig Technik und Reifendruck prüft, reduziert die Gefahr deutlich. Trotzdem: Motorradfahren bleibt riskant. Kein Airbag, keine Knautschzone. Wer stürzt, fällt meist hart.

«Aber ich glaube, es ist auch riskant, nie auf sein Gefühl zu hören und nie diese Freiheit zu genießen», sagt Kuntz. Vielleicht sei das der schmale Grat, auf dem sich Motorradfahrende bewegen: zwischen Vernunft und Freiheit, zwischen Verantwortung und Leidenschaft.

Problemrocker versus Rockerproblem

Was ihn nervt? Das Böse-Buben-Image. «Mit Tätowierung, Ohrring und Lederkutte gelten Biker bei vielen als Rocker. Die würden sich aber wundern, wie sozial Motorradfahrer oft eingestellt sind», erzählt Kuntz. «Für die einen sind wir zu laut, die tippen sich an die Stirn, aber das ist zum Glück der kleinere Teil», sagt er. «Der größere Teil winkt uns zu. Darunter sind oft kleine Kinder mit großen Augen. Das sind oft unsere größten Fans.»

Lisa-Marie Jeckel sieht es ähnlich. «Der größte Irrtum über das Motorradfahren ist vielleicht, dass es nur etwas für Draufgänger oder Adrenalinjunkies ist. Dabei geht es vielen – so wie mir – auch um Natur, Freiheit und das besondere Gefühl von Verbundenheit mit der Straße und dem Moment.» Sie hofft, bald wieder einmal auf Tour zu sein - mit Helm, Leder und der Faszination am Fahren.

dpa

Bild: Mit durchschnittlich 65 Motorrädern auf 1.000 Einwohner liegt Rheinland-Pfalz dem Kraftfahrt-Bundesamt zufolge mit dem Saarland bundesweit auf dem dritten Platz. (Archivfoto) | Thomas Frey/dpa

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Datum: 24.07.2025
Rubrik: Lokales
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