Puppenstars aus London - Die Nibelungen werden international

 

Puppenstars aus London - Die Nibelungen werden international

Ein Mythos muss atmen dürfen. Die nächste Inszenierung über den Drachentöter Siegfried und seinen Mörder Hagen in Rheinland-Pfalz lässt ihm dafür viel Raum.

Worms (dpa/lrs) -

Worms im Sommer 2026. Auf der Bühne vor dem Kaiserdom wird der große Nibelungen-Mythos wieder einmal ganz neu erzählt. «Die Hunnenkönigin»: Die Inszenierung des urdeutschen Heldenstoffs kommt diesmal von der Insel. Die britische Theatercompagnie Les Enfants Terribles - bekannt für bildstarke Produktionen - übernimmt die Regie der Festspiele (17. Juli bis 2. August). Ein Schritt, den Intendant Nico Hofmann als «lustvolle Anarchie» bezeichnet – und als bewussten Bruch mit dem Gewohnten.

«Wir wollten einen anderen Blick», sagt Hofmann. «Engländer haben oft diesen schwarzen Humor, diesen Sinn für Tragikomödie. Ich verspreche mir davon eine echte Befruchtung – ästhetisch, emotional, theatralisch.» Man habe die Truppe mehrmals in London getroffen, erzählt er, «und wir waren einfach begeistert von dieser Energie, dieser Ernsthaftigkeit im Spiel, dieser Lust am Risiko».

Wormser Welttheater

An der Spitze der Truppe: Oliver Lansley und James Seager - Theatermacher, die in England Kultstatus genießen. Ihre Produktionen verbinden Zirkus, Masken, Puppen und Performancekunst – irgendwo zwischen Shakespeare und Cirque du Soleil. Dabei folgen Mittel und Form dem Stoff.

«Am Anfang», erzählt Lansley bei einem Besuch in Worms, «haben wir gar nicht gedacht, dass das Nibelungenlied etwas mit Puppentheater zu tun haben würde. Wir überlegen immer zuerst: Was erzählt uns die Geschichte? Und dann suchen wir die Mittel, die dazu passen.»

Diesmal aber, gibt er zu, sei das Puppenhafte plötzlich doch da gewesen. «Olli schreibt, und wir merken: Ja, hier könnte eine Puppe auftauchen, hier eine Andeutung von etwas nicht Menschlichem. Es ist alles noch ein offener Prozess.» Nur eins stehe fest: «No, you’re not going to see a dragon!» (Nein, einen Drachen wirst Du nicht sehen!)

Lansley lacht. «Wenn wir einen riesigen Drachen versprechen, erwarten die Leute einen riesigen Drachen. Dann wären sie enttäuscht. Vielleicht wird es einen Hinweis auf einen Drachen geben – aber sicher keinen Riesendrachen.»

Die Kunst der Beschränkung

Die Briten nähern sich dem Stoff sozusagen als Außenstehende – und als Erben. «Wir kannten die Nibelungensage eigentlich nicht», sagt Seager. «Aber die Elemente schon – den Drachen, den Ring, die Gier, die Rache. Wenn man es liest, denkt man: Moment, das ist unsere Geschichte.»

Alle Aspekte fänden sich auch etwa in «Der Herr der Ringe» und «Game of Thrones», sagt Seager. So werde der Stoff, urdeutsch in seiner Wurzel, plötzlich universell: ein europäischer Mythos von Macht, Schuld und Untergang.

Die Bühne vor dem Wormser Dom bleibt Hofmann zufolge das Zentrum der Magie – und eine Herausforderung. «Die Größe der Bühne und der Dom haben ihre eigene Wucht», sagt der Intendant. «Lansley versteht das. Er hat die ästhetische Kraft, die Dinge größer zu denken.» Und der Brite habe, so Hofmann, «eine fast kindliche Freude am Theater», die sich übertrage.

Licht und Schatten

Lansley selbst erzählt von der Einschränkung als Quelle der Kreativität. «Ich glaube, vieles entsteht oft aus dem, was nicht geht.» Als Beispiel nennt er seine Show «The Terrible Infants», die mit fast keinem Budget entstand. «Unsere Puppen waren aus alten Regenschirmen und Kartons. Aber gerade daraus kam die Fantasie.» Diese Haltung wolle er nach Rheinland-Pfalz bringen.

Technisch werde die Inszenierung zwischen Licht und Schatten changieren - weil die Sonne langsam untergeht. Eine Lichtdesignerin, die am Broadway arbeite, soll das Stück gestalten. Ihr Konzept laut Lansley: «Man sieht zweimal das gleiche Theater – mal hell, mal dunkel. Und es sieht komplett anders aus.»

Hofmann erwartet ein Gesamtkunstwerk: «Ich glaube, das wird ein Abend zwischen Zirkus und Tragödie, zwischen Poesie und Gewalt. Mit großen Masken, großen Kostümen, mit Humor – aber auch mit Abgrund.»

Der künstlerische Leiter Thomas Laue meint, es werde spannend sein zu sehen, wie eine Truppe, die aus der englischen Theatertradition komme, auf diesen deutschen Mythos blicke. «Das Gleiche gilt für das Theater: Les Enfants Terribles stehen für ein sehr körperliches, musikalisches und tänzerisches Theater, das mit viel Spiellust alle Genres mischt.»

Warum ein Drache fehlt - und trotzdem alles stimmt

Nach gut 20 Jahren Festspielgeschichte wagt Worms also erneut den Perspektivwechsel. Kein deutsches «Best of», kein museales Nachspielen, sondern – wie Hofmann sagt – «eine weitere neue Facette des Mythos».

Die Zuschauerinnen und Zuschauer, glaubt er, gehen den Weg mit. «Wir haben ein offenes Publikum, das radikale Inszenierungen gewohnt ist. Und wir haben die Unterstützung von Stadt, Land, Sponsoren. Also: keine Angst. Nur Vorfreude.»

Die Tribüne in der Stadt am Rhein bietet rund 1.400 Plätze. Die Eintrittspreise liegen zwischen 29 und 139 Euro. Und, wer weiß: Vielleicht gibt es doch einen Drachen. Bis dahin bleibt es bei Andeutungen.

dpa

Bild: Seit 2002 inszenieren die Nibelungen-Festspiele in Worms den Mythos jedes Jahr neu - hier 2025. (Archivbild) | Uwe Anspach/dpa

Das Video-Newsportal der Region Koblenz.

Datum: 31.12.2025
Rubrik: Lokales
Das könnte Sie auch interessieren