Im Reich der Inge

 

Im Reich der Inge

Deutschland diskutiert über eine mögliche Rente mit 70. Im Süden von Rheinland-Pfalz arbeitet Inge Fleischmann noch mit 88 - in einer Kultkneipe.

Speyer (dpa/lrs) -

Das Lokal ist legendär, die Wirtin eine Institution: Im «Narrenstübchen» gehen die Uhren anders. Vielleicht ist die Zeit in der Weinstube in Speyer auch ganz stehengeblieben. An den Wänden hängen Fotos, Karnevalsorden, gerahmte Sprüche: «Fühlen Sie sich bei uns wie zuhause, aber benehmen Sie sich bitte nicht so.» In den Ecken stehen dunkle Holzbänke, die Tische tragen karierte Decken.

Alles ist wie immer. Noch. Denn am Montag (11. August) feiert das überregional bekannte Kultlokal seinen 70. Geburtstag. Eine Seltenheit, nicht nur wegen der Jahre - sondern weil hier immer noch dieselbe Frau das Sagen hat: Inge Fleischmann. 88 Jahre alt. Seit Januar 1956 dabei.

Ihr Vater, ein Karnevalist und Bäcker, hatte das Lokal 1955 im Erdgeschoss des Wohnhauses eröffnet. «Wir waren elf Leute in der Familie. Da war immer was los», sagt Fleischmann. Ist es ein bewegtes Leben? «Ich deet sagen ja.» Mit dem Designer Luigi Colani (1928-2019), der Mitte der 60er-Jahre auch in Speyer wirkte, verband sie eine enge Freundschaft. Verheiratet war sie nie.

Wirtin, Stadtgedächtnis, Institution

Heute ist sie Wirtin, Stadtgedächtnis, Institution. Die Leute gehen «zur Inge». Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel war Stammgast. Autor Uwe Ittensohn hat sie in seinem Krimi «Abendmahl für einen Mörder» verewigt. Auch an diesem Abend kommt Rosenverkäufer Rashid – selbst eine Speyerer Persönlichkeit. Drei Euro die Blume. Am Nebentisch reden sie über den FCK. Und über Andreas, der noch keinen Ausbildungsplatz hat. Und über Heinrich, der jetzt auch allein ist.

Für viele ist das «Narrenstübchen» in der Seitenstraße mit dem Kopfsteinpflaster ein so wichtiges Kulturgut wie der Unesco-geschützte Dom um die Ecke. Manches habe sich aber verändert, sagt die Inge. Zum Beispiel sei das Rauchen im Lokal längst verboten – kein Verlust. «Manchmal hat man die Leute gar nicht mehr gesehen vor lauter Qualm.» Sie lacht. «Aber ich hab keinen Gast verloren.»

«Ich mach auf, wie immer»

Vor dem Jubiläum haben sich zahlreiche Medien zu Interviews angekündigt. Geht es nach Inge Fleischmann, wird es ein normaler Tag. «Ich mach auf, wie immer. Es ist ein Montag. Das langt.» Vorsichtig bringt sie ein Dubbeglas mit Schorle an den Tisch. Sie trägt roten Nagellack und Lippenstift, Perlenkette und darauf abgestimmten Ohrschmuck. Nächstes Jahr wird sie 90. «Dann hör ich auf. Ganz sicher. Also – wahrscheinlich.»

Und was geschieht danach? Sie zuckt mit den Schultern. «Wir hoffen, dass mal jemand kommt, der das weitermacht. Dann sitz ich halt ab und zu abends da.» Kein Abschied, sondern ein Weitererzählen. Ganz normal. Wie seit 70 Jahren.

dpa

Bild: Für Fleischmann haben Gäste sogar einmal ein Lied aus der Oper "Zar und Zimmermann" angestimmt. | Uwe Anspach/dpa

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Datum: 05.08.2025
Rubrik: Lokales
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