
Ambulanz hilft ohne Termin - «Sie müssen mit allem rechnen»
Neben der Notaufnahme der Mainzer Unimedizin sitzt die neue Hochschulambulanz. Sie soll eine Lücke zwischen ambulanter und stationärer Versorgung schließen und Studenten früher zu Patienten bringen.
Mainz (dpa/lrs) -
An der weißen Tür im Gebäude 505 der Universitätsmedizin können sich Wege von Patienten trennen. «Anmeldung» und «Ersteinschätzung» steht darauf geschrieben, dahinter sitzen die ersten Ansprechpartner der zentralen Notaufnahme der einzigen Uniklinik von Rheinland-Pfalz. Sie ist wie viele Notaufnahmen häufig voll - auch mit Menschen, die keine Notfälle sind.
Bis zu 50 Prozent der Besucher könnten laut Unimedizin mit ihren Beschwerden zu einem niedergelassenen Arzt gehen. Seit Kurzem werden weniger schlimme Fälle ein paar Türen weiter gebeten: in die neue Hochschulambulanz, eine Art Hausarztpraxis im Krankenhaus mit integrierter Lehre.
Anlaufstation für Patienten ohne Hausarzt
Angegliedert ist die allgemeinmedizinische hausärztliche Hochschulambulanz, wie sie mit vollem Namen heißt, an das Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie. Gedacht ist sie als Anlaufstation für Patientinnen und Patienten, die noch keinen Hausarzt in Mainz haben, deren Hausarzt oder Vertretung nicht erreichbar ist, und für Personen, die zu Besuch in Mainz krank werden. Auch Patienten, die mit dem Rettungsdienst kommen, deren Behandlung aber nicht dringlich ist, werden in der Hochschulambulanz behandelt.
Grundsätzlich steige die Zahl der Menschen ohne festen Hausarzt, sagt Birgit Schulz, ärztliche Leiterin der Ambulanz. Zahlreiche Praxen in Mainz nähmen keine neuen Patienten mehr auf, außerdem sei aus dem Ausland nach Mainz kommenden Menschen das hiesige Hausarztsystem nicht bekannt, sie kämen daher mit Beschwerden erstmal in eine Klinik.
Ambulanz soll Lücke schließen
Eine Konkurrenz zu Hausärzten soll die Ambulanz nicht sein, wie Schulz betont. Vielmehr soll sie eine Lücke schließen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. So umschreibt es Michael Jansky, Direktor des Zentrums für Allgemeinmedizin und Geriatrie an der Unimedizin. Dauerhafte Behandlungen chronisch kranker Menschen seien nicht Aufgabe der Ambulanz, in der Regel sei sie ein einmaliger Anlaufpunkt. «Wir springen ein, wenn die Akutversorgung - warum auch immer - gerade nicht gewährleistet ist», sagt Jansky.
Birgit Schulz und Michael Jansky waren maßgeblich am Aufbau der Hochschulambulanz an der Mainzer Unimedizin beteiligt. | Helmut Fricke/dpa
Menschen können ohne vorherige Terminvereinbarung und ohne Überweisung kommen oder eben von der Notaufnahme mangels ganz großer Dringlichkeit an die Ambulanz verwiesen werden - allerdings nur zu normalen Praxiszeiten, nicht zu Notdienstzeiten. Geöffnet ist die Hochschulambulanz seit ihrem Start im Januar montags, dienstags und donnerstags von 8 bis 18 Uhr, mittwochs von 8 bis 14 Uhr sowie freitags von 8 bis 16 Uhr.
Kein Ersatz für früheres Projekt der Kassenärztlichen Vereinigung
Zu unterscheiden ist die Ambulanz von dem im Dezember 2024 beendeten und in der Form bundesweit einmaligen Modellprojekt der «Allgemeinmedizinischen Praxis auf dem Campus» - kurz APC - der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Auch die APC hat Birgit Schulz aufgebaut, sechs Jahre gab es sie.
In der APC sollte ein IT-gestütztes Tool für die Ersteinschätzung von Patienten getestet werden, auch sollte sie die Notaufnahme entlasten. Letzteres wurde erreicht, wie Schulz und die KV unisono sagen. Allerdings war der Betrieb in den derzeitigen Strukturen des Gesundheitssystems defizitär. Solche Portalpraxen bräuchten einen eigenen Vergütungskatalog, sonst könne sich das nicht rechnen, erklärt Schulz.
Rücksichtslosigkeit und Gewalt sind ein Thema
Der Patientenstrom Richtung Hochschulambulanz ist also ein anderer, als es der in der APC war. Konnten dort Menschen mit Beschwerden direkt hingehen, ist heute die Notaufnahme immer der Hochschulambulanz vorgeschaltet für eine erste Beurteilung. Mit der Einschätzung dort seien manche Patienten allerdings nicht einverstanden, berichtet Schulz. «Man sieht viel Rücksichtslosigkeit. Wir haben schon Gewalt erlebt.» Deswegen sei inzwischen immer ein Sicherheitsmitarbeiter im Notaufnahmen-Trakt im Einsatz.
Hinter dieser Tür wird entschieden, wie dringend eine Patientin oder ein Patient welche Behandlung benötigt. Nicht mit allem sind die Besucher einverstanden. | Helmut Fricke/dpa
Auflaufen kann bei den drei Ärzten und vier Medizinischen Fachangestellten der Ambulanz alles Mögliche. Schulz zufolge reicht das Spektrum vom umgeknickten Flusskreuzfahrt-Touristen über den aus den Tropen zurückgekehrten Piloten mit einer Legionellose - einer Infektionskrankheit -, den neu nach Mainz gezogenen Studierenden mit grippalem Infekt bis hin zu Personen mit Panikattacke. «Sie müssen mit allem rechnen», sagt Schulz.
Medizinstudierende können wichtige Erfahrungen sammeln
Eingebunden ist die Hochschulambulanz auch in die Lehre, sie bietet Medizinstudierenden die Chance, schon in der vorklinischen Phase ab dem ersten Semester Patientenkontakte zu haben, wie Jansky erklärt. So könnten schon früh grundlegende Dinge geschult werden: Wie höre ich das Herz oder die Lunge ab? Wie untersuche ich den Bauch, wie mache ich ein EKG?
Eine Schulung von Studierenden im Umgang mit Notfällen sei schwierig, aber letztlich für alle Fachrichtungen wichtig, sagt der Vorstandsvorsitzende und Medizinische Vorstand der Unimedizin, Ralf Kiesslich. In der Ambulanz bestehe die Möglichkeit, sich unter Supervision mit akuten Krankheitsbildern des gesamten Körpers auseinanderzusetzen.
«Dadurch können die Studierenden einen ganzheitlichen Blick entwickeln - und das bereits ab der vorklinischen Phase ihres Studiums», erklärt der Klinikchef. «Das finden wir eine sehr attraktive Möglichkeit für unsere Studierenden.»
Mit gezielten Fragen einen Notfall erkennen
Während der klinischen Semester könnten Studenten in der Ambulanz viel über Anamnese lernen, sagt Jansky, also die Erhebung der Krankengeschichte eines bis dato unbekannten Patienten durch Fragen. «Ein gutes Anamnese-Gespräch kann Kosten sparen», betont er. Viele mögliche Ursachen für Beschwerden könnten früh ausgeschlossen, unnötige Untersuchungen vermieden werden.
Und Notfälle können im Optimalfall früher erkannt werden, was Leben retten kann. Wenn ein Patient mit starken Rückenschmerzen komme, müsse er auch gefragt werden, wie sein Stuhlgang sei und ob er Wasser lassen könne, sagt Jansky. Wenn nicht, könne es sich um eine Blasen- und Mastdarmlähmung handeln, dann sei schnelles Handeln erforderlich. In der Anamnese fit zu sein, sei gerade in Zeiten einer zunehmend ambulanten Medizin eminent wichtig.
dpa
Bild: Ultraschall-Untersuchungen gehören zum Alltag in der allgemeinmedizinischen hausärztlichen Hochschulambulanz. | Helmut Fricke/dpa
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