
Kreise klagen wegen Finanznot gegen das Land - «Hilfeschrei»
Die Finanzsituation der rheinland-pfälzischen Landkreise ist nach Darstellung ihres kommunalen Spitzenverbands dramatisch und droht noch schlechter zu werden. Dies sei eine Gefahr für die Demokratie.
Mainz (dpa/lrs) -
Deutlich höhere Kosten für Personal, Kitas, Sozial- und Jugendhilfe, als auch für die Schülerbeförderung sowie die Ausstattung und Mechanismus des kommunalen Finanzausgleichs (KFA): Die Kreise Cochem-Zell und Südwestpfalz haben angesichts ihrer finanziellen Lage angekündigt, gegen das Land zu klagen.
Der Landkreistag unterstützt die Klagen, da alle Kreishaushalte in einer «dramatischen Schieflage» seien, wie der Geschäftsführende Direktor des kommunalen Spitzenverbands, Andreas Göbel, in Mainz sagte. «Wir sind wehr- und schuldlos», betonte Göbel. Selbst der eigentlich reiche Kreis Mainz-Bingen habe kein Geld mehr für freiwillige Leistungen, was vor allem Sprachkurse für die Integration und Musikschulen treffe.
Geld vom Land reicht nicht
Die Kreise gingen aktuell von einem Defizit von mehr als 370 Millionen Euro aus. Das Land habe das Problem zwar erkannt. Die von Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) angekündigte Aufstockung des KFA um 600 Millionen Euro sei zwar ein positives Signal, reiche aber nicht, um die kommunale Unterfinanzierung zu beseitigen, sagte Göbel. «Wir benötigen weitere Schritte, insbesondere eine vollständige Übernahme der Altschulden, eine Reduzierung der Sozialkosten sowie ein Absenken der Standards, insbesondere im Kindertragessstättenwesen und im ÖPNV.»
Die Vorgaben des Bundes seien ein großer Block. Gespräche mit der Landesregierung zu dem Thema liefen. Als Beispiele für Kostentreiber nannte Göbel den individuellen Rechtsanspruch auf Hilfen, steigende Inobhutnahmen und Heimunterbringungen sowie deutlich höhere Personalkosten.
«Wir rasen ungebremst in eine nie da gewesene Schuldenfalle»
Es gehe nicht nur um Bundesgesetze, sagte die Landrätin des Kreises Südwestpfalz, Susanne Ganster (CDU). Was an Finanzen am Ende für das Land übrig bleibe und was für die Kommunen, mache diese auch wütend.
«Seit zwei Jahren rasen wir ungebremst in eine nie da gewesene Schuldenfalle», sagte Ganster. Der Landkreis mit dem bundesweit niedrigsten Bruttoinlandsprodukts pro Person bekomme seit der Neuaufstellung des KFA weniger Geld als vorher. Zugleich seien die Kosten für Sozial- und Jugendhilfe um mehr als 50 Prozent gestiegen. Seit 2023 müsse der Kreis mit seinen rund 95.500 Einwohnern erstmals in erheblichem Maße Liquiditätskredite aufnehmen. Dies werde bis 2027 voraussichtlich 100 Millionen Euro ausmachen. Die 84 Ortsgemeinden stünden «komplett an der Wand».
Kosten für die Schülerbeförderung im Kreis Cochem-Zell explodiert
Die Landrätin des Kreises Cochem-Zell, Anke Beilstein (CDU), beklagte überbordende Pflichtaufgaben des Landes. Vor allem die Kosten für die Schülerbeförderung in dem Kreis mit seinen 89 Orten und etwa 63.000 Menschen seien explodiert. Dies gleiche das Land finanziell aber nicht annähernd aus.
Entscheidung der Gerichte wird dauern
Die Klagen würden zwar mit ausführlicher Begründung eingereicht, eine Entscheidung werde aber voraussichtlich länger dauern als die für 2026 geplante Evaluierung des KFA, sagte der Kölner Anwalt Nico Herbst. Landrätin Ganster betonte: Sie erwarte aber, dass die Klage als Hilfeschrei ankomme.
Gefahr für Demokratie
Beilstein warnte vor den Folgen der finanziellen Misere: Gewerbe- und Grundsteuern müssten erhöht werden und Angebote von Musikschulen und Volkshochschulen kämen auf den Prüfstand. Immer weniger Gemeinderäte hätten zudem Lust, sich noch zu engagieren, wenn es nur noch um Schuldenverwaltung gehe. «Das ist eine große Gefahr für die Demokratie.»
Die Bürgerinnen und Bürger nähmen den Staat vor allem über seine Kommunalverwaltung war, ergänzte Göbel. Wenn notwendige Aufgaben zunehmend unmöglich würden, steige auch die Unzufriedenheit mit dem Staat.
dpa
Bild: Die Kreishaushalte sind in einer «dramatischen Schieflage», sagt der Geschäftsführende Direktor des Landkreistages Rheinland-Pfalz, Andreas Göbel. | Sascha Lotz/dpa
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